Vergrabe dein Herz: Im Gespräch mit Mario Schlembach

REZENSION und PODCAST Barbara E. Seidl, 7. April 2022

Literarische Tagebücher haben in den letzten Jahren einen neuen Aufschwung erlebt. Gleich ob als Mittel um Dinge zu verarbeiten oder als Hilfe um sich längere Texte zu erarbeiten – Tagebuchschreiben bietet die Möglichkeit, den Gedanken freien Lauf zu lassen.
In seinem autofiktionalen Roman heute graben bedient sich Mario Schlembach der Form des Tagebuchs und schaufelt sich so durch die tragikomischen Momente im Alltag eines lungenkranken Totengräbers auf der Suche nach der großen Liebe.

Alles beginnt mit A., der ersten großen Liebe. Wie ein Gespenst geistert A. durch den Alltag des Erzählers, immer wieder glaubt er in Frauenbekanntschaften eine Ähnlichkeit mit A. zu erkennen. Doch die Suche führt ihn bloß zu sich selbst zurück – zu den wenig erfolgreichen Schreibversuchen, zur mysteriösen Krankheit, die sich wie ein Schatten über die Lunge legt, zu Verlusten, die er nicht wahrhaben möchte. Als einziger Halt bleibt oft nur die Schaufel, mit der er Gräber aushebt.

Mario Schlembach, heute graben. Kremayr & Scheriau 2022, 192 Seiten, € 20.
Foto © Matthias K. Heschl

Mario Schlembach, geboren 1985, aufgewachsen als Bauernsohn neben dem Lagerfriedhof Sommerein. Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaft, Philosophie und Vergleichenden Literaturwissenschaft in Wien. Im Studienjahr 2020/21 absolvierte er die Schule Friedl Kubelka für unabhängigen Film. Schlembach lebt als Schriftsteller und Totengräber in Wien und Niederösterreich. Seine beiden ersten Romane „Dichtersgattin“ (2017) und „Nebel“ (2018) erschienen im Otto Müller Verlag und erhielten zahlreiche Auszeichnungen. http://www.bauernerde.at

heute graben ist in fünf Hefte aufgeteilt, die sich am Fünfaktmodell eines klassischen Dramas orientieren. Dabei lässt die Tagebuchform dem Autor jedoch die Freiheit, seinen Gedanken freien Lauf zu lassen. Und so kann schon mal vorkommen, dass auf die detailreiche Schilderung einer Grababräumung der Satz „später Buchteln mit Vanillesauce bei Oma“ folgt.

Mario Schlembach gelingt es, selbst die traurigsten Themen mit der richtigen Brise Humor zu nehmen, wobei die Komik vor allem auch dadurch entsteht, dass sich der Erzähler selbst nicht todernst nimmt. Zwischen den Zeilen blitzen überdies einige Anspielungen auf Erfahrungen des Autors im Literaturbetrieb durch, wie etwa das rege Interesse an seiner Arbeit als Totengräber.

heute graben ist eine Chronik des Scheiterns, die den Lesenden mit jedem Spatenstich ein Stückchen mehr ans Herz wächst.

In der neuesten Podcast-Folge von Das Litrophon gibt Mario Schlembach Einblicke in den Entstehungsprozess seines Romans und spricht darüber, warum für ihn das Graben manchmal ein guter Ausgleich zum Schreiben ist.

Übrigens: Das Litrophon gibt es auch als Abo, auf Spotify und Apple Podcast!

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