REZENSION Barbara E. Seidl 18. 6. 2021
Mehrsprachigkeit ist etwas, was viele vor allem mit Migration, sprachlichen Minderheiten oder Kindern, deren Eltern unterschiedliche Erstsprachen sprechen, verbinden. Und doch sind beinahe alle von uns mehrsprachig, denn neben einer in der Schule vermittelten Standardsprache sprechen wir meist noch mindestens einen Dialekt.
In ihrem Lyrikband nur einmal fliegenpilz zum frühstück setzt Katharina J. Ferner zwei ihrer Alltagssprachen – ostösterreichischen Dialekt und Standardsprache – nebeneinander. Das Ergebnis ist die Gegenüberstellung zweier Sprachen, die auf den ersten Blick sehr unterschiedlich erschienen.
de schüdkäfa hom die worte eigfongt
i konns auf eanare fliagldeckn voabeiziagn segn
oba vasteh tua i’s ned
die schildkäfer halten die worte gefangen
ich kann sie auf den flügeldecken vorbeiziehen sehen
aber ihre bedeutung nicht ausmachen
Katharina J. Ferner, nur einmal fliegenpilz zum frühstück, Limbus Lyrik 2019.
Vor allem Leser:innen, die in der österreichischen Mundart weniger bewandert sind, fällt auf, dass die Dialektworte mit deutlich weniger Konsonanten auskommen, was der Sprache einen weicheren, melodischeren Klang verleiht. Außerdem erinnern uns die teils veränderte Wortfolge im Satz sowie die frei übersetzten Umschreibungen daran, dass sich Erlebtes nie eins zu eins in eine andere Sprache übertragen lässt, selbst dann nicht, wenn die Schreibende beide Sprachwelten in sich vereint.
Katharina J. Ferners lyrisches Abtasten ihrer Umgebung ist eine Leseerfahrung, bei der nicht nur alle Sinne gefordert werden – die Gedichte riechen nach Morcheln und Schweiß, es knistert und rauscht, schmeckt nach frischen Pilzen und Beeren, Farben schillern –, es öffnen sich auch neue Perspektiven in Bezug auf Sprache und Sprachgebrauch.

So wie sich die beschriebene Natur vor unseren lesenden Augen mit jeder Zeile verändert, so bekommt auch das Bezeichnete durch die unterschiedlichen Bezeichnungen eine immer neue Färbung. So wird die Almpoetik zu Oimgstanzln, in denen etwa von den drei häufigsten Todesursachen „von de Schüdkäfa“ oder von ausgehungerten Wandern, die in der Almhütte einfallen, die Rede ist. Gegen Ende des zweiten Teils, der den Titel schwarzwaldlyrik/ im schwoarzwoid trägt, werden die zwei Versionen eines Gedichtes rund um die Schwimmbadabenteuer einer Maus noch um eine weitere Variante ergänzt: Claudia Ramsteiner übersetzte die Zeilen ins Alemannische. Das lyrische Dreiländereck führt sehr schön vor Augen, wie der individuelle Sprachwitz in der standardisierten Sprache oftmals verloren geht. So krabbelt die Maus in der ostösterreichischen Version frech auf eine Schwimmerin, während der Nager in der alemannischen Version auf die Schulter hopst, sich in der standarddeutschen Fassung jedoch sittsam „bequemt“.

2017 Stadtschreiberin in Hausach (D), 2019 Lyrikstipendium am Schriftstellerhaus Stuttgart. Bei Limbus erschien ihr vielbeachtetes Lyrikdebüt nur einmal fliegenpilz zum frühstück (2019) und Der Anbeginn (2020).
Katharina J. Ferners nur einmal fliegenpilz zum frühstück ist der seltene Glücksfall eines Bandes, der Natur und Umwelt lebendig werden lässt, sich auf hohem sprachlichen Niveau bewegt und dabei gleichzeitig auch sehr unterhaltsam ist. Gekonnt spielt die Autorin die Möglichkeiten aus, die sich durch die Gegenüberstellung der beiden Sprachvarianten bieten: die ästhetische Distanz die durch die Standardsprache zum Erlebten erzeugt wird und der schwarze Humor, der zwischen den Zeilen der Dialektversion hervorblitzt.
Das kleine Büchlein ist ein idealer Begleiter für eine ausgedehnt Wanderung in der Natur und wird nicht nur Lyrikfans und Dialektliebhaber:innen viel Freude beim Lesen bereiten.

Barbara E. Seidl ist freie Autorin, Literaturwissenschaftlerin und Trainerin für Deutsch und Englisch als Fremdsprache.