Im Spotlight: Sigrid Obermair über ihre Liebe zu Italien

Foto © Debora Vinai

Bereits früh entdeckte Sigrid Obermair ihre Liebe zu Italien, der sie in ihrem Lyrikband Lungomare nun auch literarisch Ausdruck verleiht. Was für sie das Besondere an diesem Land im Süden ausmacht und welche Rolle dabei die Sprache spielt, erzählt sie im neuesten Im Spotlight Interview.

Frau Obermair, Ihr Lyrikband trägt den schönen Titel Lungomare, was sich mit „entlang des Meeres“ übersetzen lässt. Was verbinden Sie mit dem Meer?

Als erstes entsteht ein Bild: ein Bad im Meer, auf dem Rücken liegend, mit weit ausgebreiteten Armen und Blick in den blauen Himmel und das Gefühl loslassen zu können und getragen zu werden. Das Meer ist für mich Freude und Glück.
Bin ich am Meer und blicke ich in die Weite und die Ferne des Horizontes, wird es auch in mir weit und still. Fragen verstummen, das Denken findet ein Ende, Vergangenheit und Zukunft verlieren ihre Bedeutung, nur der Augenblick zählt, und das nicht abgelenkte Gespräch mit dem Meer. Eine Erfahrung von Transzendenz und das Wissen, Teil davon zu sein.

Warum war Ihnen dieser Band ein besonderes Anliegen?

Seit meiner Jugendzeit habe ich immer wieder Italien bereist. Eine Zeit lang war Sizilien meine Zweitheimat. Jetzt ist es die italienische Riviera in Ligurien und der Ort Alassio.

Mein Weg, Erlebnisse zu verarbeiten und dem Leben in der Tiefe nachzuspüren, war und ist das Schreiben von Gedichten. Viele davon sind im Süden entstanden.
Menschen, die über meine Liebe zur Lyrik und zum Schreiben wussten, haben mich immer wieder gebeten, ihnen daraus vorzulesen. Im Rezitieren habe ich die Freude und die intensive Berührung gespürt. Dabei habe ich bemerkt, wie sehr auch Lebensweisheiten und Lebenserkenntnisse in den Menschen etwas bewirken und etwas mitgegeben. 
Und mir wurde bewusst, dass meine Verse ihren Sinn verfehlen, wenn sie nur als Worddokument auf meinem Computer verfügbar sind. Als ich dann auch das Layout des Buches zu visualisieren begann, wusste ich, dass es Zeit war, meine Gedichte zu veröffentlichen. An dieser Stelle möchte ich auch den renommierten Neurologen, Psychiater und Begründer der Logotherapie und Existenzanalyse, Viktor Frankl zitieren: „Der Sinn zieht und dem Sinn kann man sich nicht entziehen.“

Als Impuls haben Sie in einem anderen Interview Joan Didion zitiert, die meinte „ich weiß nicht, was ich darüber denke, bis ich es aufschreibe“. Was denken Sie nun über Italien?

Die Antwort darauf gibt am besten der Prolog in meinem Gedichteband:

Als Kind wurde ich gefragt: 
Wenn Du ein Tier sein könntest, welches wärst Du? 
Ich sagte: 
Ich wäre eine Möwe, die über den Küsten des Südens kreist. 

Blicke ich auf mein Leben zurück, sehe ich es als Unterwegssein, als eine Reise, wie in einem Zug, bei der ich an Orten anhielt, verweilte, weiterreiste. Was mich immer wieder aufbrechen ließ, war mein Suchen nach einem Gegenüber, das mich verstand und mit mir in Resonanz ging, nach einem Gegenstück, das mich nicht an der Oberfläche, sondern in meinem tiefsten Sein schöpfen, mich erfahren und erkennen ließ, nach etwas, in dem ich mich wiederfand und das mich zutiefst erfüllte. 

Die Kunst, im Besonderen die Literatur, wurde mir in diesem Sehnen zum beständigen, verlässlichen und treuen Freund. Und es ist Italien, das mit seinen Landstrichen, seinen Meeren an sonnigen Küsten, und speziell seinen Menschen, Zeit meines Lebens, Ort beseelten Schauens, größten Glücks, auch Zuflucht, Trost und Hafen sein wird. Vor allem aber ist es das so andere Lebensgefühl, das mir dieses Land im Süden, an der mir immerwährenden Sonne, zum Sehnsuchtsort macht. 

Sinnerfüllt zu leben und die zu werden, als die ich gesollt bin, sehe ich als Aufgabe in diesem Leben. Hätte ich schon früher an den Gestaden Italiens gelebt, ich glaube, ich wäre ein noch anderer Mensch geworden. 

Sinneseindrücke und Emotionen festzuhalten, gehört zu den schwierigsten Aufgaben des Schreibens. Worin bestand für Sie die größte Herausforderung während des Schreibprozesses?

Speziell Italien schenkt mir täglich immer wieder aufs Neue, die scheinbar kleinen Augenblicke, die für mich „Momente der Lebenspoesie“ sind: Nadeln von Schirmpinien, die Blüte eines Oleanderbusches, die zu Boden fällt, Palmenzweige, die sich im Wind bewegen, der Duft von frischen Feigen in der Luft … 
Dem nachzuspüren und auf den Grund zu gehen, was mir in der Tiefe in diesen besonderen Momenten nahe geht und mich ergreift und diesen Gefühlen in Worten und Versen eine Sprache zu geben, habe ich in so manchen Phasen als Herausforderung und als Erfüllung zugleich erlebt. Durch Lyrik erschließt sich dem Menschen ein Universum, das fern von Sinneseindrücken der äußeren Welt ist, ähnlich der Musik, wie E.T.A. Hoffmann in einem Zitat schreibt: Wo die Sprache aufhört, fängt die Musik an. 

Orte und wie wir sie erleben sind nicht zuletzt auch sehr eng mit Sprache verbunden. Wie war es für Sie, das italienische Lebensgefühl mit deutschen Worten zu beschreiben? Hat der Klang des Italienischen Ihre Sprache beeinflusst? 

Ich bin in Oberösterreich aufgewachsen, und meinem Vater war es wichtig, dass wir Kinder uns auch in der in unserer Stadt gesprochenen Mundart ausdrücken konnten. Habe ich Sehnsucht nach meinem Heimatort merke ich, dass oft nur ein Gespräch in dem mir vertrauten Dialekt und den mir vertrauten Wörtern hilft. Zuhause ist für mich maßgeblich mit Sprache verbunden.

Bedingt durch meine jahrelange Tätigkeit für einen amerikanischen Konzern, war Englisch viele Jahre meine „erste“ Sprache, in der ich mich jedoch immer fremd fühlte. Seit ich in Italien lebe, ist mir bewusst geworden, wie sehr diese Sprache wesentlich dazu beiträgt, dass mir dieses Land zum Sehnsuchtsort geworden ist. Oft schüttle ich zwar noch immer verwundert den Kopf, wenn ein Wort im Italienischen unzählige ganz unterschiedliche Bedeutungen hat, aber gerade dieses Wissen um den richtigen Einsatz macht das Lebensgefühl aus, das ich mit diesem Land verbinde.
Speziell in Sizilien habe ich den unendlichen Reichtum von Sprache, nicht nur als gesprochenes Wort, sondern nonverbal, als Mimik und Gestik, erlebt. Oft sah ich mich lachend vor dem Spiegel, wenn mir auch nach mehrmaligem Üben die richtige Handhaltung nicht gelingen wollte. 
Nach all den Erfahrungen, die ich machen durfte, wage ich zu behaupten, dass ohne die umfangreiche Kenntnis des Italienischen, ich dieses Lebensgefühl in diesem Land nicht erfahren hätte.

Dieses so besondere, so oft flüchtige Lebensgefühl, das oftmals in nur Bruchteilen von Sekunden aufflammt, überhaupt zu fassen, zeigt mir oftmals bereits Grenzen im bewussten „verstehen wollen“ auf. Diese Erfahrungen und Erlebnisse, in denen das Lebensgefühl wurzelt, zudem in Worte fassen zu wollen, führt an andere Grenzen.
Würde das Beschreiben und Schreiben darüber – vorausgesetzt, ich wäre der italienischen Sprache in einer derartigen Kompetenz im Ausdruck fähig – es erleichtern? Ich denke nicht. Es gibt Erlebnisse und Erfahrungen, die die Tür aufstoßen, oftmals nur einen Spalt, zu einer Welt, wie wir sie im Hier und Jetzt nicht kennen. Eine Welt, die nicht aus Worten gemacht ist und vielleicht dadurch schwer in Worte zu fassen ist. Wie das Wort Lebensgefühl, wofür es im Italienischen keine für mich stimmige Übersetzung gibt.


Im Oktober liest Sigrid Obermaier gleich zweimal aus ihrem Lyrikband:

14. Oktober 2022, 18 Uhr: Bibliothek des Café Museum, Operngasse 7, 1010 Wien gemeinsam mit der Lyrikerin Johanna Wachmann. Hier ist eine Anmeldung bis 10. Oktober erforderlich: mail@sigridobermair.com

20. Oktober 2022, 19 Uhr: 
Buchhandlung OrtnerBücher, Tigergasse 19G, 1080 Wien

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