REZENSION Barbara E. Seidl 21. Mai 2021
Schwarze Löcher und Poesie entstehen beide durch Verdichtung, doch während die Masse Schwarzer Löcher so kompakt ist, dass nicht einmal Licht die Möglichkeit hat, sie zu durchlaufen, lässt Lyrik in ihrer Knappheit neue Welten entstehen.
In Raoul Eiseles einmal hatten wir schwarze Löcher gezählt wird die metaphorische Bedeutung Schwarzer Löcher um die Thematik des Erinnerns und Vergessens erweitert – statt weißen Blättern unterbrechen schwarze Seiten den Text. So ist die vage Erinnerung an Begegnungen und Alltagsmomente kein leerer Fleck sondern so verdichtet, dass keine Konturen mehr zu erkennen sind.
während das Vergessen mitwuchs
wuchsen schwarze Flecken im Kopf ganz harmlos
wie schön ist das Vergessen, Raoul Eisele


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Raoul Eisele ist ein aufmerksamer Beobachter kleiner Momente des Alltags. Sei es das Tropfen eines Wasserhahns oder ein Schimmelgewächs, das sich auf einer Zitronenschale ausbreitet, Eisele fasst ein kleines Detail ins Auge und lässt daraus in wenigen Zeilen eine Geschichte entstehen, leibt, wie José F. A. Oliver in seinem Grußwort schön schreibt, „erzählerische Energie ins Poetische der Gefühle und Gedanken“.
Eiseles Gedichte erkunden reale und poetische Leerstellen, Schwarze Löcher, hinter die man nicht blicken, die man nur schwer mit Worten fassen kann. Doch manchmal liegt vielleicht gerade darin der Reiz, im Umschreiben, im Nachskizzieren, oder auch im Weiterspinnen.
einmal hatten wir schwarze Löcher gezählt ist ein außerordentlich schön gestalteter Gedichtband, in dem man immer wieder blättern und in Raoul Eiseles verdichteter poetischer Sprachkunst untertauchen kann.

Barbara E. Seidl ist freie Autorin, Literaturwissenschaftlerin und Trainerin für Deutsch und Englisch als Fremdsprache.