„Ich würde mir wünschen, dass einfach ein bisschen die Angst vor Gedichten wegfällt“

In seinem zweiten Lyrikband „einmal hatten wir schwarze Löcher gezählt“ zeichnet Raoul Eisele den Kontrast zwischen Licht und Dunkelheit, Erinnern und Vergessen, Dichtung und der Dichte Schwarzer Löcher. Im Interview spricht er über Schwarze Löcher, seine Liebe zur Lyrik und die Vorbehalte mit denen sich die Dichtkunst zum Teil noch immer konfrontiert sieht.

Raoul, gleich zu Beginn eine Frage zum Titel „Schwarze Löcher“ – was macht dieses Thema für dich so spannend?

Der Titel ist eigentlich aus dem Text heraus entstanden. Es gibt auch ein Gedicht in dem Band, das genauso heißt, „einmal hatten wir schwarze Löcher gezählt“, das ich für einen meiner besten Freunde geschrieben habe, der mittlerweile nicht mehr in Wien lebt. Das Thema Schwarze Löcher ist insofern ein großes, weil ich es spannend finde, ein Feld zu haben, das man einerseits noch nicht erkundet hat und das auch nicht erkundet werden kann. Zum anderen geht es in dem Buch auch um Fragen des Vergessens und des Erinnerns, der Demenz. Schwarze Löcher haben für mich für eine große metaphorische Bedeutung. Sie stehen für etwas Undurchsichtiges, etwas, wo ich nicht dahinter blicken kann, etwas was verdeckt ist und somit auch Dingen keinen Raum gibt, die vielleicht Raum brauchen, weil eben auch diese enorme Verdichtung da ist, die eigentlich ein Nichts schafft. Dadurch stellen sie auch ein bisschen das Gegenteil von Dichtung dar. Ein Schwarzes Loch ist so dicht, dass in ihm gar nichts entsteht und auch nicht entstehen kann, während Dichtung versucht, in einer sehr knappen Art und Weise ganz viel aufzumachen.

Ist das auch einer der Gründe, warum dich Dichtung mehr anspricht als Prosa, weil man mit wenigen Worten mehr ausdrücken kann?

Ich denke zwar, dass ich mich persönlich in der Dichtung besser ausdrücken kann als in Prosa aber es gibt auch gute Prosa, der es gelingt, mit einem sehr dichten Text trotzdem eine enorme Größe zu schaffen. Ich glaube, einem Text muss es einfach gelingen, mit Worten Welten aufzumachen und Bilder und Emotionen bei der Leserin, beim Leser zu erzeugen, egal ob in der Prosa oder in der Lyrik. Ich habe Lyrik für mich entdeckt, weil ich darin einfach besser war und vielleicht auch, weil ich ein bisschen ein fauler Mensch bin. Ich glaube, ich könnte gar keinen Roman schreiben, weil ich einfach an einem Thema nicht so lang dranbleiben könnte, vielleicht ist Lyrik deshalb auch das ideale Medium für mich. 🙂

Hast du den Eindruck, dass es mit Lyrik schwieriger ist, einen Verlag zu finden?

Ich glaube, die Antwort auf diese Frage ergibt sich schon aus dem Umstand, dass es im Bereich Lyrik immer noch weniger Verlage gibt. Andererseits gibt es aber auch viele Initiativen, die sich bemühen Lyrik sichtbarer zu machen und dadurch ist es aktuell vielleicht manchmal sogar leichter, mit Lyrik Aufmerksamkeit zu bekommen. Aber wenn wir uns die Medienlandschaft ansehen, sind wir bei der Verbreitung von Lyrik leider schnell wieder nur in dieser Bubble drinnen: ein kleines Grüppchen, das sich lyrisch austauscht und auch gegenseitig Lob oder Kritik zukommen lässt, in der breiten Medienlandschaft jedoch weitgehend unerwähnt bleibt.

Es heißt ja momentan, dass es so etwas wie ein Lyrik-Revival gibt, bekommst du davon etwas mit?

Es hat immer wieder geheißen, seit den 2000er Jahren steigt die Nachfrage an Lyrik ein bisschen an. Ich sehe einen minimalen Boom in der Hinsicht, dass es Autor*innen gibt, die wirklich Schlagzeilen mit Lyrik machen können, was es früher vielleicht nicht immer so gegeben hat. Also ich denke, es kommt wieder, wenn wir uns zum Beispiel eine Amanda Gorman anschauen, die plötzlich rund um die Welt Schlagzeilen mit ihrem Gedicht macht.

Nun gibt es ja, wie du bereits erwähnt hast, auch einige Initiativen, die sich für Lyrik stark machen. Was würdest du dir für die Zukunft wünschen, beziehungsweise was sollte sich in diesem Bereich optimalerweise noch weiter tun?

Ich würde mir wünschen, dass einfach ein bisschen die Angst vor Gedichten wegfällt, dass diese Gattungsfrage auch nicht mehr aufkommt. Warum diskutieren wir zum Beispiel darüber, dass Bob Dylan den Literaturnobelpreis bekommen hat? Er ist ein großartiger Autor, der gleichzeitig auch Musiker ist. Dass wir diese Genregrenzen einmal aufbrechen. Dass wir diese Angst ablegen, die vielleicht auch durch das strikte Analysieren in der Schule geprägt ist, und einfach die Texte auf uns wirken lassen.   


Raoul Eisele, wurde 1991 in Eisenstadt geboren, wohnt momentan in Wien und studierte Germanistik und Komparatistik. 2017 debütierte er mit seinem Lyrikband „morgen glätten wir träume“, Graz: edition yara. 2021 erscheint sein zweiter Lyrikband „einmal hatten wir schwarze Löcher gezählt“, Berlin: Schiler & Mücke.

​2019 wurde er mehrfach preislich ausgezeichnet, erhielt 2020 das Startstipendium für Literatur der Stadt Wien, residierte als Artist in Residence im Salzburger Künstler*innenhaus und darf ab Herbst 2021 für drei Monate ins Schriftsteller*innenhaus Stuttgart als Stadtschreiber ziehen. Davor steht noch eine Residency im Kunstatelier Paliano in der Nähe Roms an.

​Abseits der Literatur ist er am Theater und bei Hörspielproduktionen tätig und wirkte bei Produktionen am Deutschen Theater Berlin, am Schauspielhaus Wien, am Theaterforum Schwechat und an den Schauspielschulen Max-Reinhardts und Ernst Buschs mit. 

2021 wird sein Jugendstück „in einem Land ohne“ im WUK (Wien) uraufgeführt.

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