REZENSION Barbara E. Seidl, 12. Dezember 2020

Las Vegas ist für viele der Inbegriff von Glamour, Glitzer und Glücksspiel. Doch hinter der Fassade dieses Vergnügungsparks für Erwachsene zeigt sich ein anderes Bild: Armut, Drogen, Spielsucht und die höchste Selbstmordrate der USA. Viele, die im Unterhaltungsmekka ihr Glück suchten sind auf den heruntergekommenen Seitenstraßen gestrandet.
Die Autorin Petra Piuk und die Fotografin Barbara Filips sind nach Las Vegas gefahren, haben einen Roulette-Teppich über den Stadtplan gelegt und die Stadt in sechsunddreißig „Spielfelder“ eingeteilt, die sie– mal alleine, mal zu zweit– dreißig Tage lang erkundeten.
Aus dem gesammelten Material ist die Geschichte von Lisa entstanden, einer jungen Frau, die in der Partystadt dem ultimativen Kick hinterherjagt und sich schließlich dabei verliert. Gemeinsam mit Lisa begeben sich die Leser*innen auf einen Trip durch Las Vegas, bei dem so gut wie jede Grenze überschritten wird. Im Zwielicht zwischen Drogenrausch und Realität wirkt die Stadt wie eine Geisterbahn. Während Lisa unter den Augen eines dauergrinsenden Clowns verzweifelt nach ihrem Freund Tom sucht, können die Leser*innen die Kapitelreihenfolge frei wählen, oder sich diese auch erspielen.
Der nonlineare, sprunghafte Erzählstil, die fragmentarischen Sätze, die in unterschiedlichen Fonts zweifarbig–schwarz und rot–gehalten sind und die montageartigen Fotos erinnern an avantgardistische Kunstprojekte. Wie die Cut-Ups eines Reisetagebuchs, das im Drogenrausch geschrieben wurde, präsentieren sich die vielen Eindrücke. Am Ende dreht sich der Kopf der Leser*innen selbst wie ein Roulette-Rad.
Das Las Vegas, das hier gezeigt wird, ist keines, wo man unbedingt Urlaub machen möchte. Doch aus der sicheren Distanz appelliert Wenn Rot kommt an die voyeuristische Ader, die insgeheim wohl in jeder und jedem von uns steckt. Schließlich wird bei dem Horrortrip durch die Glückspielmetropole nichts ausgelassen, was verboten ist – inklusive käuflichem Sex und harten Drogen.
Petra Piuks und Barbara Filips‘ Buch ist wie ein verführerischer Virtual-Reality-Trip, bei dem man mitlebt und mitleidet, am Ende jedoch froh ist, dass man zuhause geblieben ist–auf der Couch mit dem Buch in der Hand, statt in der Kanalisation von Las Vegas.

Petra Piuk, geboren 1975 in Güssing, Burgenland. Lebt in Wien. Absolventin der Leondinger Akademie für Literatur. Ihr Debütroman „Lucy fliegt“ wurde mit der Buchprämie der Stadt Wien ausgezeichnet. Mit einem Auszug daraus wurde sie zum Floriana Literaturwettbewerb eingeladen. 2016 erhielt sie den Literaturpreis des Landes Burgenland. Für ihren zweiten Roman „Toni und Moni oder: Anleitung zum Heimatroman“ erhielt sie den erstmals verliehenen Wortmeldungen-Literaturpreis der Crespo Foundation 2018.
Barbara Filips, geboren 1964 in Wien, Kulturmanagerin und Fotografin. Dolmetschstudium, Ausbildungen zur Kulturmanagerin, Gründung der Künstleragentur babmusic artist management. 2016 Diplomabschluss an der Prager Fotoschule Österreich, seitdem freie künstlerische Fotografin. Zahlreiche Ausstellungen, u. a. Teilnahme an der Foto Wien 2019. barbarafilips.at
Das Buch:

Petra Piuk: Wenn Rot kommt. Mit Fotografien von Barbara Filips. Kremayr & Scheriau 2020, 192 Seiten, 24,00 €