Petra Piuk und Barbara Filips sind mit einem Roulettespiel nach Las Vegas gefahren und haben ihre Recherche dem Zufall übergeben. Entstanden ist Wenn Rot kommt, ein vielstimmiges Porträt der Stadt. Die Novelle ist zugleich Textmontage und Bildgeschichte, aber vor allem: ein atemloser Trip ins Innerste der Glücksspielmetropole. Im Interview gewähren uns die beiden Künstlerinnen Einblicke in den Entstehungsprozess dieses ungewöhnlichen Buchprojekts.
Was verbindet ihr mit der Farbe Rot?
Petra Piuk: Roulette, Lippenstift, Spielautomatenkirschen, Herz Bube, Weihnachtsmützen, (rosa)rote Glock, Clownsnasen usw.
Barbara Filips: Ich verbinde mit Rot Sinnlichkeit, Wärme, etwas Schönes, Aufregendes. In Wenn Rot kommt habe ich teilweise mit Infrarotfotografie gearbeitet um in der fotografischen Ästhetik auf die Künstlichkeit der Stadt Bezug zu nehmen – mit dieser Technik werden teilweise Dinge sichtbar gemacht, die für das menschliche Auge nicht wahrnehmbar sind. Das wirkt einerseits irritierend und unwirklich, verleiht den Bildern zusätzliche Tiefe und spiegelt so, wie ich finde, auch etwas von der zerstörerische Schönheit dieser exzessiven Stadt wider.
Las Vegas wird in der Popkultur ja gerne als eine Art Vergnügungspark für Erwachsene beschrieben, in Wenn Rot kommt gleicht die Stadt einer Art Geisterbahn. Waren die Eindrücke, die ihr von eurer Reise in die Glückspielmetropole mitgenommen habt, wirklich so extrem?
Petra Piuk: Uns hat das Las Vegas hinter den Neonlichtern interessiert. Es gibt in Las Vegas eine hohe Spielsuchtrate, Drogensuchtrate, Kriminalitätsrate, die höchste Selbstmordrate und eine der höchsten Obdachlosenraten der USA. Hunderte Menschen leben teilweise seit Jahren in den Flutkanälen unterhalb der Casino-Hotels. Und selbst in den Casinos war die Stimmung bedrückend, es ist laut, kalt, verraucht und vor den Automaten sitzen Menschen mit leeren Blicken, die monoton auf Knöpfe drücken.
Für mich ist Las Vegas eine unglaublich traurige Stadt, die mich leer zurückgelassen hat. Diese Leere hab‘ ich versucht in Worte zu fassen, die Leere nach dem Rausch, nach dem Spielrausch, Drogenrausch, Konsumrausch, Vergnügungsrausch.
Barbara Filips: Ja, durchaus. Wir hatten natürlich erwartet, dass wir neben Party, Spaß und Glitzer auch ein mehr oder weniger extremes Gegenszenario vorfinden würden, das war ja der Hintergrund unseres Projektes – der Blick hinter die Glitzerfassade. Was wir dann aber erlebt und gesehen haben war doch einigermaßen irritierend und für mich auch sehr bedrückend.
Zweifellos übt diese Stadt der Superlative mit seiner Gigantonomie und Strahlkraft eine gewisse Faszination aus, und sicherlich kann man auf seine Kosten kommen wenn man, wie die meisten Besucher, ein paar Tage Partyspass erleben und den Alltag hinter sich lassen möchte. Mir hat allein der schrille Multi-Wahnsinn auf den Vergnügungsmeilen, die permanente Bespaßung und die Konsumbehämmerung – schneller, größer, höher, besser, billiger – aber eher ein Gefühl von Tristesse und Leere vermittelt.
Die nachhaltigsten Eindrücke waren für mich aber wohl jene jenseits dieser Vergnügungsmaschinerie bzw. zu sehen welche Auswüchse diese für das Leben und die Stadt zur Folge hat – Gewaltbereitschaft, Kriminalität und Drogensucht sind allgegenwärtig, hunderte Menschen leben in den Tunneln des Kanalsystems unter der Stadt, obdachlose Menschen sind im Stadtbild zwischen dem hektischen Glamour omnipräsent.
Wir haben ekstatischen Partyspass auf ultimativen Mega-Parties gesehen, zu Weihnachten auf einer Shooting Range Familien mit Kindern getroffen, die ihre ersten Schiess-Erlebnisse geschenkt bekamen und zu Silvester den atemberaubenden Blick auf das nächtliche Las Vegas genossen. Es hat uns in Gegenden verschlagen die zu den gefährlichsten Ecken in Amerika zählen und wir haben Menschen kennengelernt die in Vegas gestrandet sind weil sie beim Spielen alles verloren haben.
Das alles waren natürlich schon sehr intensive Erlebnisse. In meinen Fotos habe ich versucht diese ambivalenten, teilweise bizarren Eindrücke in oft abstrakten Bildern einzufangen und die Stimmung von gleichzeitig Faszination und dem Gefühl der Leere wiederzugeben.
Ein Thema, das sich bei der Lektüre von Wenn Rot kommt aufdrängt sind Grenzen beziehungsweise deren Überschreitung. Nicht nur die beiden Hauptpersonen Lisa und Tom lassen von Drogenrausch bis Glückspiel nichts aus, der Text selbst sprengt die Grenzen zwischen Roman und Kunstprojekt. Wie darf man sich den Entstehungsprozess, das Kooperieren von Bild und Text vorstellen?
Petra Piuk: Das Buch war von Anfang an als Experiment, als Spiel angelegt.
Wir haben für die Recherche einen Rouletteteppich über den Stadtplan von Las Vegas gelegt und die Stadt in 36 „Spielfelder“ eingeteilt. Jeden Abend haben wir mit einem kleinen Spielzeugroulette gespielt, haben den Zufall entscheiden lassen, in welcher Gegend wir am nächsten Tag herumstreunen werden, alleine oder zu zweit.
30 Tage lang haben wir Foto- und Textmaterial gesammelt, am Ende hatte ich hunderte Seiten voll mit Notizen, dazu Tonaufzeichnungen mit Geräuschen und Gesprächsfetzen und Fotos mit den Schriftzügen der Stadt.
In Wien haben wir zunächst getrennt voneinander unser Material gesichtet und bearbeitet. Ich hab‘ viel ausprobiert, viele verschiedene Figuren auf das Textmaterial losgelassen, letztendlich ist die Geschichte von Lisa herausgekommen, die sich zunehmend in dem Stimmengewirr der Stadt verliert.
Barbara Filips: Eine der Gemeinsamkeiten in unserer beider der Arbeit ist ja das Spiel mit dem Zufall bzw. der Zufall als gestalterisches Element – das war auch unsere Herangehensweise für die Arbeit vor Ort. Wir hatten natürlich einige Themen recherchiert, haben es aber dem Zufall überlassen wohin es uns schließlich verschlägt. Teilweise gemeinsam, teilweise allein haben wir uns dann auf den Weg gemacht, um uns treiben zu lassen und in diese Gegenden und Orte einzutauchen. So haben wir Dinge erlebt und gesehen auf die wir sonst ziemlich sicher nicht gestoßen wären. Den ursprünglichen Plan uns täglich über unsere Erfahrungen auszutauschen haben wir recht bald verworfen, denn – wenn wir von Grenzen und deren Überschreitungen sprechen – die Fülle und Intensität von Eindrücken und Erlebnissen hat uns auch nahe an die Grenzen unsere Energie gebracht.
Grundsätzlich war die Idee, dass wir beide – unabhängig voneinander unsere eigene Geschichte erzählen, vor dem Hintergrund diese beiden Betrachtungen formal schließlich zu einem schlüssigen Projekt zusammenzuführen. Als wir beide unsere ersten Entwürfe fertiggestellt hatten, haben wir begonnen uns darüber auszutauschen und Schritt für Schritt Text und Bilder zusammenzufügen. Das war für mich mit einer der schönsten Teile der Arbeit an dem Buch, es hat richtig Spaß gemacht zu sehen wie aus den beiden Teilen langsam ein homogenes Ganzes entsteht, in dem Text und Bilder einander nicht nur ergänzen sondern in weiten Teilen auch verstärken bzw. überhöhen.
Ungewöhnlich ist auch die Kapitel-Reihenfolge, die die Lesenden selbst bestimmen können und das Spiel mit unterschiedlichen Schriftzügen. Was war die Idee dahinter?
Petra Piuk: Ich bin ein verspielter Mensch, ich mag das Spiel mit der Form sehr. Und mir ist wichtig, dass Inhalt, Sprache und Form zusammenpassen.
In dem Fall ist das Buch mit 36 Kapiteln wie ein Roulettespiel aufgebaut. Man kann den Text chronologisch von der ersten bis zur letzten Seite lesen oder in der Reihenfolge der Kapitelnummern. Wer möchte, kann sich die Reihenfolge auch selbst erspielen bzw. das Buch irgendwo aufschlagen. Es ergibt sich – zumindest ist es für mich so – jedes Mal eine andere Geschichte mit einem anderen Ende.
Die Idee mit den unterschiedlichen Schriftzügen ist bei einem gemeinsamen Brainstorming im Verlag entstanden. Es hatten wirklich alle, die an der Gestaltung des Buchs beteiligt waren, großen Spaß daran. Das Rauschhafte zieht sich bis in die Seitenzahlen.
Barbara Filips: Für mich ist das Angebot die Reihenfolge der Kapitel selbst zu wählen Ausdruck des spielerischen Zuganges, der sich durch das ganze Projekt zieht. Sowohl textlich als auch in der Bildgeschichte ergeben sich durch die alternative Lesart bzw. Betrachtung immer neue Aspekte und Dinge die zu entdecken sind. Auch die unterschiedlichen Schriftarten sind ein weiteres spielerisches Element und unterstreichen einzelne Textstellen auch visuell.
Neben Lesungen ist ja auch eine Fotoausstellung zum Buch geplant. Könnt ihr euch auch noch andere Formate für das Projekt vorstellen? Etwa eine filmische Umsetzung?
Petra Piuk: Ein Film wäre natürlich der Wahnsinn, ich sehe schon die Bilder vor mir. Könnte nur etwas teuer in der Umsetzung werden. Was ich mir sehr gut vorstellen kann: ein Hörspiel, ein Theaterstück oder eine Brettspielversion mit Spielzeugroulettekessel.
Barbara Filips: Die Fotoausstellung war ja Anfang Oktober auch als Buchpräsentation mit Lesung geplant und musste leider aufgrund der aktuellen Situation auf nächstes Jahr verschoben werden. Voraussichtlich wird die Veranstaltung nun am 27.05. – 30.05. 21 in der Galerie Ostlicht in Wien stattfinden und es wird in diesem Rahmen auch eine Lesung und Matinée geben.
Eine filmische Umsetzung wäre natürlich sehr spannend, aber vermutlich auch mit ziemlich großem Aufwand verbunden. Was ich mir beispielsweise gut vorstellen könnte ist ein Theaterstück, etwa ein Kammerspiel, ein Ein-Personen-Stück mit Video- und Soundinstallationen oder ähnliches ..
Die Autorinnen:
Petra Piuk, geboren 1975 in Güssing, Burgenland. Lebt in Wien. Absolventin der Leondinger Akademie für Literatur. Ihr Debütroman „Lucy fliegt“ wurde mit der Buchprämie der Stadt Wien ausgezeichnet. Mit einem Auszug daraus wurde sie zum Floriana Literaturwettbewerb eingeladen. 2016 erhielt sie den Literaturpreis des Landes Burgenland. Für ihren zweiten Roman „Toni und Moni oder: Anleitung zum Heimatroman“ erhielt sie den erstmals verliehenen Wortmeldungen-Literaturpreis der Crespo Foundation 2018.
Barbara Filips, geboren 1964 in Wien, Kulturmanagerin und Fotografin. Dolmetschstudium, Ausbildungen zur Kulturmanagerin, Gründung der Künstleragentur babmusic artist management. 2016 Diplomabschluss an der Prager Fotoschule Österreich, seitdem freie künstlerische Fotografin. Zahlreiche Ausstellungen, u. a. Teilnahme an der Foto Wien 2019. barbarafilips.at