Eine Melange aus Sprache und Musik

Barbara Rieger ist Autorin und Schreibpädagogin. Seit 2013 veröffentlicht sie im Rahmen des Gemeinschaftsprojekts Café Entropy zusammen mit dem Fotografen Alain Barbero und der Übersetzerin Sylvie Barbero-Vibet Schwarzweiß-Fotografien, Kurztexte und Interviews mit Autor*innen. In ihrem neuesten Roman, Friss oder stirb (Kremayr & Scheriau, 2020), widmet sie sich dem Thema Essstörung aus der Sicht einer heranwachsenden jungen Frau.

Musik hilft mir, mich in eine Zeit, eine Stimmung hineinzuversetzen.

Barbara Rieger

Anna, die Protagonistin deines neuen Romans Friss oder stirb, leidet unter Bulimie. Erst „frisst“ sie alles in sich hinein, dann will sie es wieder „auskotzen“: etwas, das eigentlich sehr aktuell ist, aber viel zu selten angesprochen wird. Warum war dir dieses Thema so wichtig?


Viele, ich würde sogar sagen, die meisten Menschen in unserer Gesellschaft, haben ein problematisches, widersprüchliches Verhältnis zum Essen. Nicht so wenige Frauen – aber auch Männer –  haben eine ernsthafte Essstörung. (Laut Schätzungen leiden zum Beispiel 10% der Menschen zwischen 15 und 30 Jahren an Bulimie, 10% davon Männer) Esssucht, Magersucht und Bulimie sind komplexe psychische Krankheiten, die am (weiblichen) Körper ausgetragen werden.

Es gibt unzählige wissenschaftliche Bücher, Sachbücher, Ratgeber und Erfahrungsberichte über Essstörungen. Gerade die Bulimie wurde aber noch kaum literarisch bearbeitet. Es gibt den Roman „Stierhunger“ (2007) von Linda Stift, der das Wesen der Bulimie großartig darstellt. Und „Stalins Kühe“ (2012) von der finnisch-estnischen Autorin Sofi Oksanen.

Ich wollte versuchen, das Innere dieser Sucht zu schildern und die (scheinbar) endlose Wiederholung in Romanform zu bringen. Und einen möglichen Ausweg andeuten. 

Was mir an dem Roman besonders gefällt, ist der etwas unkonventionelle Stil mit vielen Wiederholungen, die Annas Leiden für die Leser noch eindringlicher erscheinen lassen. Außerdem hat man das Gefühl, mit Anna durch die Zeit zu reisen, nicht zuletzt durch die Auszüge aus verschiedenen Songs. Hörst du selbst beim Schreiben auch Musik, um dich besser in die Szenen reinversetzen zu können?

Ja, ich höre beim Schreiben öfter Musik. Sie hilft mir, mich in eine Zeit, eine Stimmung hineinzuversetzen, außerdem gibt sie einen bestimmen Rhythmus vor. Ich habe in dem Fall ziemlich genau die Musik gehört, die im Roman zitiert wird. Der Verlag war auch so nett, eine Playlist zusammenzustellen: https://open.spotify.com/playlist/3T6SltpBUTxDZDaHTQGgMZ?si=jl6bMg4uTviSZMrbf2Tp6Q

Du arbeitest ja auch als Schreibpädagogin, welchen Tipp kannst du angehenden Autor*innen geben, um eine eigene Stimme zu finden?

Bei meiner Arbeit als Schreibpädagogin habe ich die Erfahrung gemacht, dass diese eigene Stimme immer schon da ist: Wenn du einer Gruppe von zehn, zwölf Schreibinteressierten einen Schreibimpuls gibst, wird jedeR diesen anders lösen, wird sich jeder Text vom anderen unterscheiden, anders klingen.

Ansonsten viel lesen: Durch das Lesen und Hören von anderen Texten, durch das (wertfreie) Vergleichen kann man die eigene Wahrnehmung schulen.

Und natürlich viel schreiben: Durch das Ausprobieren verschiedener Stimmen kann man dahinter kommen, was einem liegt, was Spaß macht und was schwerer fällt, was man will. (Das kann sich natürlich im Lauf der Zeit verändern.)

Durch Zufall bin ich auf Facebook auf das Projekt Café Entropy gestoßen, kannst du uns ein wenig darüber erzählen?

Seit 2013 betreibe ich gemeinsam mit dem französischen Fotokünstler Alain Barbero den Blog cafe.entropy.at. Wir veröffentlichen Schwarzweiß-Fotografien von Menschen – mittlerweile vor allem von AutorInnen – in Cafés in Europa. Dazu gibt es literarische Kurztexte sowie Interviews und Infos zu den AutorInnen. Derzeit ist unser Blog auf Deutsch und Französisch verfügbar, einige Texte gibt es auch in anderen Sprachen.

Aus dem Blog ist das Buch „Melange der Poesie – Wiener Kaffeehausmomente in Schwarzweiß.“ entstanden. Darin sind Beiträge von AutorInnen in 55 verschiedenen Wiener Kaffeehäusern und Cafés, sowie eine Beschreibung von jedem Café zu finden. Wir hoffen, früher oder später eine Österreich- oder eine Europaversion der „Melange“ machen zu können. 

Noch mal zurück zu Friss oder Stirb. Am schwersten fällt es Anna, sich bei Schokolade zu beherrschen. Was sind beim Essen deine persönlichen Guilty Pleasures?

Tomaten! Ich vertrage sie nicht, bekomme davon zum Teil heftige allergische Reaktionen, aber manchmal kann ich mich einfach nicht beherrschen. Was wäre das Leben ohne den Geschmack von reifen Tomaten?


Barbara Rieger, geboren 1982 in Graz, Autorin und Schreibpädagogin. Lebt mit ihrer Familie im Almtal (Oberösterreich).

Gemeinsam mit Alain Barbero Herausgeberin des multilingualen Literatur- und Fotoblogs cafe.entropy.at, aus dem die Bücher „Melange der Poesie – Wiener Kaffeehausmomente in Schwarzweiß“ (Kremayr & Scheriau 2017) sowie „Kinder der Poesie – Österreichische AutorInnen in Schwarzweiß.“ (K&S 2019) hervorgingen.

Romandebüt „Bis ans Ende, Marie“ (Kremayr & Scheriau 2018). Ihr zweiter Roman „Friss oder stirb“ erscheint im August 2020.

Vorstandsmitglied des BÖS (Berufsverband Österreichischer SchreibpädagogInnen), Mitglied der GAV (Grazer Autorinnen Autorenversammlung).https://www.barbara-rieger.at/

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