Sind Romantik und Recht mit einander vereinbar? In seinem Debütroman Die Dringlichkeit der Dinge erzählt Markus Grundtner die ungewöhnliche Liebesgeschichte eines jungen Wiener Anwaltsanwärters und einer temperamentvollen Lehrerin aus Triest. Im Interview spricht der Autor über die Darstellung von Beziehungsangelegenheiten durch die Juristenbrille, über seine Liebe zu Triest und über ein Buch, das für die Entstehung seines Romans eine wichtige Rolle spielte.

In Die Dringlichkeit der Dinge finden ein junger Anwaltsanwärter und eine Italienischlehrerin aus Triest über Umwege zueinander. Die größte Herausforderung für das Paar ist die Tatsache, dass sie grundverschieden sind – sie ist intuitiv und romantisch, er hat für jedes Problem einen passenden Paragrafen parat. Worin bestand für dich der größte Reiz an dieser ungewöhnlichen Konstellation?
Der größte Reiz bestand darin, Herz mit Kopf zusammenzutreffen zu lassen, oder, schriftstellerisch gesagt, einen Anwaltsroman und einen Liebesroman zum Kollidieren zu bringen. Was Liebes- und Beziehungsromane anbelangt, braucht es Konfliktpotential, um das Interesse der LeserInnen zu halten. Einerseits findet sich der Auslöser der Spannungen zwischen den beiden Hauptfiguren in deren Gegensätzen, andererseits ergibt sich daraus auch der Reiz, den die beiden innerhalb der Handlung aufeinander ausüben.
Was diese Liebesgeschichte von den meisten anderen unterscheidet, ist der Umstand, dass die beiden Protagonisten Mathias und Klaudia trotz einiger Dramen doch sehr pragmatisch an ihre Beziehung herangehen. So schließen sie gleich zu Beginn einen Glücksvertrag ab und geben sich ein Probemonat, in dem beide den „Vertrag“ jederzeit ohne „Kündigungsfrist“ lösen dürfen. Wäre das auch ein Rat, den du „Mandanten“ geben würdest, die dich in Beziehungsangelegenheiten um Rat bitten?
Um den juristischen Standardsatz zu verwenden: Das kommt darauf an – in diesem Fall auf den Menschen, der mich um Rat bittet. Mir kommt jedenfalls vor, dass manche Menschen nüchterner und vorsichtiger werden, was Beziehungen anbelangt. Sie wollen alles planen, um vom Leben alles zu haben. Einen Glücksvertrag aufzusetzen, würden selbst diese Menschen wohl als lächerlich empfinden, wobei sie in ihrem Handeln aber Ähnliches tun – für sich zum Beispiel festlegen, eine Beziehung zu beenden, wenn bis zum Ablauf eines selbst festgelegten Zeitraums nicht ein konkretes Ereignis eingetreten ist, etwa ein wichtiger gemeinsamer Schritt gesetzt wurde oder sich auch eine emotionale Sicherheit eingestellt hat, dass die Beziehung Zeug hat für langen Bestand.
Zugegeben, wenn ich in meinem Alltag Beziehungsratschläge gebe, dann rutscht schon der eine oder andere juristische Gedanke oder Vergleich hinein. Verträge würde ich nicht aufsetzen. Das überlasse ich den Familienrechtlern. Am Ende steht mein literarischer Glücksvertrag für die Notwendigkeit, in Partnerschaften eine gemeinsame Verständnisgrundlage und Sprache für die eigenen Ziele sowie Vorstellungen zu finden. Auf diesem Weg entsteht ein gewisses Maß an Klarheit, wobei wie bei jeder Verwendung von Sprache Lücken, Ungenauigkeiten und Spielräume bleiben. Für meinen Roman ging es um die Darstellung von Liebe und Beziehungen in einer außerordentlichen Form – gesehen durch die Juristenbrille. Mein Rat im echten Leben wäre aber, sich von Anfang an klarzuwerden, was man möchte und dies so gut wie möglich zu kommunizieren.
Nach zahlreichen Veröffentlichungen in Anthologien und einer Kurzgeschichtensammlung ist Die Dringlichkeit der Dinge nun dein erster Roman. Wie hast du den Schreibprozess erlebt?
Die kurze Form bietet nach einem oft intensiven und gedrängten Entstehungsprozess ein schnelles und im Vorhinein relativ gut abzuschätzendes Erfolgserlebnis. Beim Roman war ich über weite Strecken allein unterwegs, ohne Sicherheit, was geschehen wird, sobald das Buch fertiggestellt ist. Rückmeldungen von Dritten zum Manuskript bestanden hauptsächlich darin, was besser sein könnte, also weiterer Aufmerksamkeit bedurfte. Es war auch oft so, dass ich selbst dachte: „Ok, das ist es jetzt – es ist fertig.“, aber dann kam ein weiterer Arbeitsschritt hinzu – also eine neuerliche Überarbeitung, was auch nicht immer ohne Frustration meinerseits geblieben ist. Erlebt habe ich den Schreibprozess an einem Buch somit als kaum planbar oder zeitlich abschätzbar und langwierig. Nachdem es mein erstes Buch war, kam auch immer wieder ein Gefühl der Unsicherheit auf, weniger, ob ich es fertig schreiben würde, sondern ob das Buch am Ende einen Verlag finden wird und hinsichtlich all dem anderen, was ich als Autor nicht kontrollieren kann, etwa auch, ob und wie das Buch bei der LeserInnenschaft ankommen wird.

Seit Beginn seiner juristischen Karriere veröffentlicht er Kurzprosa in Literaturmagazinen sowie in Literaturzeitschriften (u.a. in: Am Erker, Die Rampe, DUM, erostepost, mosaik, &Radieschen und Podium) und in Anthologien. 2020, erste eigenständige literarische Veröffentlichung beim Hamburger Literatur Quickie Verlag als Teil der 26. Staffel der booklits-Reihe. Frühling 2022: Veröffentlichung seines Romandebüts „Die Dringlichkeit der Dinge“ im Grazer Verlag edition keiper.
In deinem Roman spielt auch ein Buch eine wichtige Rolle, die zweisprachige Ausgabe von Italo Svevos Zenos Gewissen. Was verbindest du mit diesem Buch und warum war es dir wichtig, die zweisprachige Ausgabe als roten Faden Ihrer Geschichte herzunehmen?
Zenos Gewissen ist das Buch im Buch. Es ist 1923 erschienen und feiert damit nächstes Jahr seinen 100-jährigen Geburtstag. Es ist ein Roman, der – vereinfacht gesagt – aus dem Alltag eines Triestiner Geschäftsmanns Weltliteratur gemacht hat. Es ist ein lebensnahes und gleichzeitig unterhaltsames Buch, welches Lebensepisoden herausgreift und mit viel Humor, großartigen Formulierungen und wundervollen Gedanken sowie Betrachtungen bedeutungsvoll auflädt.
Ein Schlüsselmoment für mich war wohl jene Stelle, in der Svevo seinen Protagonisten, den Geschäftsmann Zeno Cosini, dazu anleitet, kaufmännisches Empfinden auf sein Privatleben zu verlegen – Zeno also mit betriebswirtschaftlichen Leitsätzen die Phänomene Liebe und Leidenschaft erfassen und bewältigen will. Und aus meiner eigenen Perspektive wollte ich ja vom Prinzip her nichts anderes tun, nämlich eine Liebesgeschichte in einer juristischen Sprache erzählen.
Zenos Gewissen war damit einer unter vielen Anstöße für mich, einen eigenen Roman zu schreiben. Ich wollte ein Buch schreiben, welches aus dem Alltag eines jungen Juristen etwas Besonderes macht, ohne dabei groß zu übertreiben. Ich wollte einen Roman schreiben, den ich selbst gerne lesen möchte. Und das ist sowieso der beste Tipp für jeden, der ein Buch schreiben will, denn, wer ein Buch schreibt, liest dieses Buch gefühlt fünftausend Mal, bis es druckfertig ist.
Neben Wien ist der zweite Schauplatz des Romans die Venetische Hafenstadt Triest. Triest ist so etwas wie ein Sehnsuchtsort für Klaudia, die ihre Heimatstadt zwar aus persönlichen Gründen verlassen, aber nie wirklich hinter sich gelassen hat. Was macht den besonderen Flair dieser Stadt für dich aus?
Triest ist Teil meines Lebens. Meine Freundin Erika stammt aus Triest. Wegen ihr bin ich zum ersten Mal in die Stadt gekommen. Wegen ihr habe ich „Zenos Gewissen“ von Italo Svevo gelesen. Für mich hat sich in Triest Persönliches und Literarisches überkreuzt. Triest ist zu einem Sehnsuchtsort geworden. Ein Ort, der so nahe ist und gleichzeitig so fern. Und das ist auch eines der Hauptmotive im Buch.
Wenn ich die Stadt im Buch schildere, offenbaren sich darin die Beobachtungen, die ich von Triest und den Menschen dort gemacht habe. Und weil ich die Stadt immer mit meiner Freundin verbinden werde und beide für mich sehr wichtig geworden sind, verwundert es nicht, wenn die Stadt sich in der Erzählung als Frau spiegelt.
Ein Gedanke zu „„Ich wollte einen Roman schreiben, den ich selbst gerne lesen möchte.““