„Romanes ist eine Sprache, die in den letzten Jahrhunderten Pogromen, Verboten und Tabuisierung ausgesetzt war. Mir ist es einfach sehr wichtig, dass dieses europäische und österreichische Kulturgut gefördert wird.“

Samuel Mago ist Schriftsteller, Künstler und Roma-Aktivist. Seine Kurzgeschichtensammlungen und seinen Gedichteband verfasste er zweisprachig – auf Deutsch und Romanes. Im Interview erklärt er, warum es ihm so wichtig ist, Romanes als Literatursprache zu fördern und welche Herausforderung sich bei der Selbstübersetzung ergeben.

Sie sind mit vier Jahren mit Ihrer Familie nach Österreich gekommen, das ist ein Alter in dem eine neue Sprache noch sehr leicht und natürlich zur eigenen Sprache werden kann. Bei Ihrem Kurzgeschichtenband Bernsteyn und Rose | O Bernsteyn taj e Roza haben Sie sich nun wie bereits bei glücksmacher – e baxt romani für eine zweisprachige Ausgabe entschieden: der erste Teil des Buches ist auf Deutsch, der zweite auf Romanes. Warum war es Ihnen wichtig, beide Sprachen in einem Buch zu vereinen?

Romanes ist eine Sprache, die in den letzten Jahrhunderten Pogromen, Verboten und Tabuisierung ausgesetzt war. Romanes-Sprecher*innen in ganz Europa wurden aufgrund des schieren Gebrauchs ihrer Muttersprache von Behörden und Regierungen geächtet, verfolgt, deportiert, verstümmelt oder sogar ermordet. Umso beachtenswerter ist es, dass bis heute etwa 6-10 Millionen Menschen weltweit verschiedene Dialekte des Romanes sprechen. Meine Familie spricht die Sprache aufgrund der Pogrome der Habsburger seit mehr als 100 Jahren nicht mehr. Ich habe sie sehr mühsam gelernt. Und mir ist es einfach sehr wichtig, dass dieses europäische und österreichische Kulturgut gefördert wird. Ich habe in der edition exil einen Ort gefunden, an dem die Sprache Romanes seit Jahrzehnten einen wahnsinnig hohen Stellenwert hat, und es war keine Frage, dass wir das Buch zweisprachig publizieren. Dafür bin ich sehr, sehr dankbar.

Nun haben Sie zu den beiden Sprachen sicherlich einen ganz unterschiedlichen Zugang – welchen Teil haben Sie zuerst geschrieben und worin lagen die größten Herausforderungen bei der Übersetzung?

Die Kurzgeschichten schreibe ich immer auf Deutsch. Ich bin in Wien aufgewachsen und Deutsch ist einfach meine zweite Muttersprache geworden, in der ich am natürlichsten schreiben kann. Erst als alle Texte auf Deutsch fertig lektoriert waren, habe ich mich ans Übersetzen gemacht. Das war oft nicht ganz einfach, weil es keine standardisierte Form des Romanes gibt und man immer darauf achten muss, dass möglichst viele Sprecher*innen die Übersetzung verstehen. Und dann sind da noch Begriffe, die es im Romanes ganz einfach nicht gibt. Da nimmt man dann entweder ein Lehnwort oder man umschreibt den Begriff. Mein guter Freund und Mentor Mozes F. Heinschink hat mir dabei wahnsinnig viel geholfen. Ohne seine Arbeit wäre das Buch nicht das geworden, was es heute ist.

Mehrere Sprachen zu sprechen und zu leben ist eine große Bereicherung, dennoch stellt sich im Alltag oft das Problem, dass man sich jeweils für eine Sprache entscheiden muss. Wie gehen Sie damit um, wenn es für ein Wort oder ein Gefühl keine geeignete Übersetzung gibt?

Ich finde, genau das ist das schöne an Sprachen. Es gibt dieses pathetische Sprichwort, in jeder Sprache ist man ein anderer Mensch. Und irgendwie stimmt das auch. Auf Ungarisch gibt es zum Beispiel zwei Begriffe für Zuhause, nämlich Itthon und Otthon – Hierzuhause und Dortzuhause. Das ist für Menschen wie mich, die an zwei Orten zuhause sind, mega praktisch. 

Auch abseits Ihrer schriftstellerischen Arbeit setzen Sie sich für mehr Toleranz und gegen Roma-Feindlichkeit ein. Wie nehmen Sie das Klima in Österreich diesbezüglich wahr? Gibt es hier eine Tendenz zur Verbesserung und mehr Offenheit?

Antiziganismus ist ein Jahrhunderte altes Phänomen. Rom*nja und Sinti*zze in ganz Europa und weltweit sind davon tag-täglich betroffen. In Österreich haben wir im EU-Vergleich glücklicherweise um ein Vielfaches weniger antiziganistische Gewalttaten als etwa in Ungarn oder in Tschechien. Was nicht bedeutet, dass Rassismus gegenüber Rom*nja und Sinti*zze in Österreich nicht auch ein akutes Problem ist. Auch hierzulande begegnet man häufig Antiziganismus, meistens latent oder unreflektiert. Aber die Jahrhunderte andauernde Diskriminierung meiner Volksgruppe hat tiefe Spuren hinterlassen. In Form von vererbten Traumata, die auch in Österreich bis heute in der jüngsten Generation spürbar sind.

Zur Zeit arbeiten Sie an Ihrem ersten Roman, wird er auch zweisprachig sein?

Also ich muss ihn erstmal auf Deutsch schreiben, und dann schau ma mal. Ich habe großen Respekt vor diesem Roman und bin wahnsinnig glücklich ihn schreiben zu können. Dass Romanes und Ungarisch und Jiddisch in irgendeiner Form eine Rolle spielen müssen, steht für mich eigentlich außer Frage. Diese Sprachen prägen mein Leben sehr stark und dementsprechend auch das Leben der Figuren, Charaktere und Schauplätze in meinen Geschichten. Und das ist auch gut so.


Samuel Mago, geb. 1996 in Budapest, lebt seit 2000 in Wien. Er ist Schriftsteller, Musiker und Roma-Aktivist, studiert Soziologie und transkulturelle Kommunikation an der Universität Wien und arbeitet als Antiziganismustrainer und für das ORF-Radio. 2015 erhielt er den exil-jugend-literaturpreis, 2016 den Roma-Literaturpreis des PEN-Club. 2017 veröffentlichte er mit seinem Bruder Mágó Károly in der edition exil den viel beachteten Kurzgeschichtenband Glücksmacher – e baxt romani. 2021 erschien sein Kurzgeschichtenband bernsteyn und rose sowie sein zweisprachiger Gedichtband unter meiner haut/ tela muri mortji.

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