Bühnenliteratur lebt von der Unmittelbarkeit

Mit jährlich rund 100 Veranstaltungen und Workshops in Wien, gehört FOMP zu den aktivsten Akteur*innen der Region und ist Österreichs größter Veranstalter für performte Literatur. Bühnenliteratur lebt vor allem von Unmittelbarkeit und der Dynamik zwischen den Vortragenden und ihrem Publikum, weshalb die Poetry Slam Szene im letzten Jahr vor einige Herausforderungen gestellt wurde. Wie FOMP diese Situation gemeistert hat und welche neuen Formate in dieser Zeit entstanden sind, erzählt FOMP-Mitgründer Jonas Scheiner im Interview.

Der Name FOMP steht für „Fear of Missing Poetry“ – welche Geschichte steckt hinter diesem Namen?
Wenn du so fragst, muss ich ausholen.
Diese Bedeutung verwenden wir seit 2017, als unser Mitglied Fabian Navarro mit dem Vorschlag um die Ecke kam. Die Anspielung gefiel uns und es geht gut von Lippe. “FOMP” an sich gibt es seit 2014. Ursprünglich war “FOMP” ein verkürztes Akronym und hätte genau genommen “GTFOOMP” heißen müssen, was natürlich unverwendbar war. Das Kollektiv hieß bei der Gründung nämlich “Get the FAC out of my pool”, wobei “pool” das Sammelbecken der eigenen Werte und Ideen darstellt und “FAC” (kurz: Faculty) die Uni und damit eine Institution mit vorgefertigten Strukturen meinen soll. Also raus aus meinem inneren Sammelbecken mit dem braven akademischen Weg, gib mir Freigeist und Rock’n’Roll. Zu unserer Verteidigung muss man sagen, dass wir junge Studis waren und keinen Plan von Kulturarbeit hatten. Zu unserem Glück haben wir den langen Namen nur kurz verwendet und uns bald darauf konzentriert, dass “FOMP” außerdem in der Comicsprache das Geräusch beschreibt, das entsteht, wenn Menschen ineinander laufen. 


Euer Ziel ist es, Bühnenliteratur zu fördern. Was macht Bühnenliteratur eurer Meinung nach aus? Warum ist sie so wichtig?
Bühnenliteratur lebt von der Unmittelbarkeit. Einen Text zu lesen ist eine persönliche und in sich gekehrte Sache, bei der man als Lesende*r selbst das Tempo bestimmt. Auf der Bühne bekommt Sprache eine neue Ebene: den gleichzeitig und kollektiv erlebten Klang. Und in der Regel auch eine optische Dynamik, je nach Performance. Man hört oft, Slam sei gelebte Sprache, aber Sprache lebt bereits, wenn sie auf die Bühne kommt. Durch den Auftritt mit Text wird nur die Zündschnur der Sprache entfacht, bis sie abhebt und am inneren Firmament explodiert. Man kann gemeinsam lauschen, staunen, grübeln, lachen – ich denke, das macht es besonders.

Normalerweise ist euer Eventkalender randvoll, im letzten Jahr war es gerade für Bühnenkunst aber sehr schwierig, Veranstaltungen durchzuführen. Wie habt Ihr als Veranstalter das letzte Jahr erlebt?
Durchwachsen. Es war auch für uns ein müdes Jahr voller Unsicherheiten und Wartezeiten, aber wir haben getan, was in unseren Möglichkeiten stand und z.B. den Sommer für open-air Formate ausgenutzt. Ab Herbst wurde es wieder dünn. Unser Privileg ist jedoch, dass wir einerseits als Einzelpersonen finanziell nicht abhängig vom Verein sind und andererseits eine Subvention haben, die zwar nicht die Welt, jedoch eine gute Stütze für unsere Projekte ist. Bei uns standen die Künstler*innen, mit denen wir arbeiten, schon immer im Fokus. Von denen hatten es natürlich einige nicht ganz leicht.  

Ihr habt im letzten Jahr auch mit Online-Formaten experimentiert. Eignen sich digitale Medien für Spoken Word bzw. Poetry Slam? Könntet Ihr euch für die Zukunft auch hybride Formate vorstellen?
Streams eignen sich für Slam, aber auf einer anderen Ebene. Es bieten sich dadurch neue spannende Perspektiven, man kann z.B. Leute einladen, die in anderen Städten oder Ländern leben, ohne eine Reise einzuplanen. Das ist toll. Wenn man eine genügend große Plattform und eine Crowd mit digitaler Affinität hat, kann man im Internet gemeinsam schon viel Spaß haben. Der Spirit von Liveshows kann dadurch natürlich nicht ersetzt werden. Da fehlt etwas. 
Wir haben uns technisch jedenfalls auch ein wenig aufgerüstet und schließen nicht aus, Hybridformate umzusetzen. Wenn eine Show ausverkauft ist (ist meistens der Fall, kauft schnell Tickets, zwinkyzwonk) könnte man somit die Reichweite erhöhen, wenn man das will. Zunächst wollen wir den Start in die Bühnenzeit gut umsetzen, dann schauen wir weiter.

Nun sind auch endlich Präsenzveranstaltungen wieder möglich. Was dürfen wir von FOMP in diesem Jahr noch erwarten? Welche Veranstaltungen sind als nächstes geplant?
Erwarten dürft ihr vor allem ganz viel Herz und Euphorie bei allen unseren Shows, die wir sehr verantwortungsbewusst umsetzen. Wir werden bis zum Herbst ausschließlich unter freiem Himmel veranstalten und die Publikumszahlen vorsichtig erhöhen, wenn wir es für passend halten. Es juckt uns natürlich auch in den Fingern, aber überstürzt wird nichts. Unser reguläres Programm wird jeden Sonntag (mit wenigen Ausnahmen) am Dach des “OBEN”, über der Bücherei am Urban-Loritz-Platz sein: der “FOMP Kultursonntag OBEN am Dach”. Hier kommen open-air Slams, Lesebühnen, Konzerte und Spezialshows wie “Lesen für Spritzer” auf euch zu. Highlights sind außerdem das “Poetry Slam Städtebattle Wien VS Berlin” im Arkadenhof des Rathauses und unser “Blitzdichtgewitter Jazz Poetry Slam” beim Kultursommer Wien.


FOMP (auch: Fear Of Missing Poetry) ist der Kulturverein zur Realisation, Präsentation und Ausbildung dynamischer Bühnenliteratur und Bühnenkunst. FOMP entwickelt seit 2014 innovative Konzepte für Bühnenshows und Sprachvermittlung. Die Veranstaltungen finden in über 15 verschiedenen Spielstätten statt: verteilt auf neun Bezirke, von Ottakring über die Innere Stadt bis nach Floridsdorf bespielt FOMP Prunkräume, Kellertheater, Kulturcafés und Hörsäle. Auch ist es FOMP während der letzten Jahre u.a. durch Zusammenarbeiten mit dem Wiener Konzerthaus, dem Volkstheater oder dem Wiener Rathaus gelungen, Poetry Slam in die Hochkultur zu bringen. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Nachwuchsförderung durch Workshops, die FOMP seit vielen Jahren erfolgreich u.a. in Kooperation mit der MDW, dem Wiener Konzerthaus, den Wiener Symphonikern sowie diversen Schulen und humanitären Organisationen wie etwa dem Roten Kreuz umsetzt. https://fomp.eu

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