REZENSION Barbara E. Seidl 28. Februar 2021
So viele Plätze gibt es in der großen Stadt, dass die Menschen sich verlieren und sich – anders als auf dem Land – nur selten zufällig treffen. Zum Glück aber haben sie ihre Hunde. Mit diesen gehen sie zu dem umzäunten Hundetreffplatz, um mit Fremden über ihr Leben zu plaudern, bevor sie, ein jeder mit einer schwarzen Plastiktüte in der Hand, ihres Weges ziehen und auf ein neuerliches Treffen hoffen – wenn die Bedürfnisse des Hundes zum Gassigehen und die des Herrchens auf einen Plausch zusammenfallen.
In meinem Bart versteckte Geschichten (Hamed Abboud, 2020)
In humorvollen Anekdoten schildert Hamed Abboud seine ersten Eindrücke von der neuen Heimat. So stellt er verwundert fest, dass auf dem Land zu leben in Österreich als Privileg angesehen wird, ein Luxus, der erst erarbeitet werden will und daher oft bis zur Pension warten muss. In seiner alten Heimat Syrien, war das anders, denn dort sehnte sich jeder nach dem pulsierenden Leben in der Stadt. Abboud hat in Österreich beides kennengelernt: das nachbarschaftliche „Bier um vier“ im ländlichen Burgenland und das betretene Schweigen, als er das erste Mal alleine ein Wiener Beisel betrat.

Hamed Abboud, In meinem Bart versteckte Geschichten. Aus dem Arabischen von Larissa Bender und Kerstin Wilsch. Zweisprachige Ausgabe. Edition Korrespondenzen, 2020, 164 Seiten, € 20.

Nominiert für den renommierten „Internationalen Literaturpreis“, der vom Berliner „Haus der Kulturen der Welt“ vergeben wird.
Stets zwischen Deir al-Zor, Aleppo, dem Burgenland und Wien hin- und herpendelnd und dabei all diese Orte gleichzeitig vereinend, beschreibt der Autor das Aufeinandertreffen kultureller Mentalitäten mit all den damit verbundenen Ängsten und teilweise überraschenden Gemeinsamkeiten.
Es ist, als würdest du dich fragen, ob der Ort deine Identität verändert hat oder ob du den Ort durch deine Identität änderst.
In meinem Bart versteckte Geschichten (Hamed Abboud, 2020)
In meinem Bart versteckte Geschichten erzählt vom Loslassen, von den Gefahren und Entbehrungen einer Flucht und von ersten Stationen des Ankommens. Dabei zeigt sich, dass der Begriff Heimat ein relativ flexibler Begriff ist, der von vielen Faktoren bestimmt wird, denn je mehr Orte man näher kennenlernt, desto schwerer fällt die Wahl.
Auch Hamed Abbouds Buch besteht aus zwei Teilen, die sich zu einem Ganzen zusammenfügen: dem arabischen Originaltext und seiner deutschen Übersetzung von Larissa Bender und Kerstin Wilsch. So wie die linksläufige arabische Schrift in der Mitte des Bandes mit dem rechtsläufigen deutschen Text zusammenfließt, so vermitteln auch die dreizehn Erzählungen den Eindruck, dass nicht nur der Weg das Ziel ist, sondern das Ziel auch neue Wege eröffnen kann.
In meinem Bart versteckte Geschichten gewährt einen sehr persönlichen Eindruck in die Stationen einer Flucht, denen Abboud allen schmerzlichen Erfahrungen zum Trotz immer noch auch positive Momente abgewinnt. Mit ein wenig Wehmut und dabei dennoch stets mit ironischem Augenzwinkern, lädt der Autor dazu ein, über den eigenen Horizont hinauszublicken, und sich dabei immer wieder selbst neu kennenzulernen.

Barbara E. Seidl ist freie Autorin, Literaturwissenschaftlerin und Trainerin für Deutsch und Englisch als Fremdsprache.