Freundschaft, Liebe und Verrat: Káska Brylas Roter Affe

REZENSION, Barbara E. Seidl 29. September 2020

Barbara E. Seidl ist freie Autorin, Literaturwissenschaftlerin und Trainerin für Deutsch und Englisch als Fremdsprache.

Kaum etwas verbindet so stark, wie geteilte Geschichte. Wohin uns das Leben auch verschlagen mag, die Vergangenheit wird immer ein Teil von uns bleiben, genau wie die Menschen, die diese Vergangenheit mitgestaltet haben.

Kaśka Brylas Romandebüt Roter Affe erzählt von Mania, einer Gefängnispsychologin mit polnischen Wurzeln. Manias Geschichte ist eng mit der von Tomek verbunden, ihrem sensiblen Kindheitsfreund. Und dann ist da noch Roland K., ein mehrfacher Mörder und Vergewaltiger, dessen Schatten weiter zurückreicht, als zu den Therapiestunden mit Mania. Als Tomek verschwindet, macht sich Mania gemeinsam mit ihrer Freundin Ruth, dem jungen Syrer Zahit und der Hündin Sue auf, ihn zu suchen. Im Laufe dieses Roadtrips von Wien nach Polen, fügt sich aus vielen einzelnen Puzzleteilen langsam ein Bild zusammen. Ein Bild, das nicht nur die Brüche zwischenmenschlicher Beziehungen sichtbar werden lässt, sondern auch Risse in der Fassade der alten Heimat aufzeigt.

Mit jedem Kilometer, den die Charaktere zurücklegen, lernen wir sie ein wenig besser kennen. Dabei setzt die Autorin eher auf Handlungen, als sich in detaillierten Beschreibungen oder Sprachspielen zu verlieren. Mitunter fast schon schmerzhaft direkt, erkundet der Roman die Grauzonen einer Welt, die sich um eine klaren Definition von Gut und Böse bemüht.

In ihrem Roman hinterfragt Kaśka Bryla nicht nur herkömmliche Kategorien wie richtig und falsch, gut und böse, sondern widmet sich einer kompromisslosen Charakterstudie, die die ungeschminkte Menschlichkeit ihrer Figuren entlarvt.

Letztendlich erscheint die Frage nach dem Bösen weniger entscheidend als der Umgang mit Narben, die die gemeinsam erlebte Vergangenheit hinterlassen hat. So ist Mania, die das Schicksal in die eigenen Hände nimmt, Heldin und Antiheldin zugleich: eine Unbeirrbare, die überlebt, weil sie den Mut hat, auch manchmal das Falsche zu tun.

Kaśka Bryla hat Charaktere erschaffen, die ans Herz wachsen, gerade weil sie in ihrer Unvollkommenheit so lebensnah sind. Mit ihrer Darstellung von Mania und Ruth, zwei starken, rational denkenden Frauen und Tomek, einem sensiblen, von seinen Emotionen geleiteten Mann, beschreibt die Autorin moderne Menschen jenseits herkömmlicher Geschlechterklischees, die einer von alten Ideologien geprägten Welt entgegentreten.

Immer wieder drängt sich im Laufe der Lektüre die Frage auf, ob man sich selbst wirklich treu bleiben kann, ohne andere zu enttäuschen. Roter Affe ist ein intensiver Roman, der zum Nachdenken anregt.

KAŚKA BRYLA, in Wien geboren, zwischen Wien und Warschau aufgewachsen. Studium der Volkswirtschaft in Wien, Studium am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig, wo sie 2015 die Literaturzeitschrift und das Autor_innennetzwerk PS-Politisch Schreiben mitbegründete. Sie war Redakteurin des Monatsmagazins an.schläge, erhielt 2013 das STARTStipendium, 2018 den Exil Preis für Prosa. Seit 2016 gibt sie Kurse zu Kreativem Schreiben in Gefängnissen und für Menschen mit Migrationshintergrund. 2019 inszenierte sie in Leipzig die Reihe Szenogramme. „Roter Affe“ (2020) ist ihr erster Roman.


Das Buch:

Kaśka Bryla, Roter Affe. Roman. Residenz Verlag 2020. 240 Seiten. 22 €.

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