Pro-Heimat, Anti-Dorf: Cornelia Hülmbauers Oft, manchmal, nie

REZENSION Katharina Peham, 9. Mai 2023

vor dem haus gab es zwei fahnenstangen mit fahnen der automarke. eines nachts fuhr jemand betrunken gegen eine der beiden. sie knickte um und fiel auf den asphalt. der bruder lag im nebenzimmer und wurde nicht wach.

Manch wehmütigen, als auch schmerzenden Blick auf die Kindheit und Jugend am Land wirft die im Mostviertel geborene Autorin Cornelia Hülmbauer. Es ist ein kleines Nest, von dem Hülmbauer sehr nahe am Autobiographischen kleine Episoden einer Kindheit und Jugend in den späten Achzigern und Neunzigern erzählt. Ein Wandel lässt sich bemerken in all der Zeit, die einfangen wird: Da ist das Autohaus und die Werkstatt der Eltern, in der Reparaturen und Ausbesserungen nicht nur an Autos vorgenommen wurden, die aber mittlerweile nicht mehr existiert und nur mehr ein blaues, kleines KFZ- Schild samt gelben Band an den einstigen Betrieb erinnert. Ein Umbruch in der Biografie, der Kapitalismus, der kleinere Dorfbetriebe zerstört und eine neue Generation, die schließlich in die Städte zieht. Eine Kindheit, die geprägt von den Sprüchen der Eltern und Großeltern ist, die in das Buch sorgsam eingewebt sind: 

sei’s wie’s sei, stirbt d’kuah, bleibt’s hei, sagte der vater und zitierte den ältesten mechaniker. die richtigen bauernregeln kannte aber die mutter.

Cornelia Hülmbauer, geboren 1982 in Niederösterreich, Studium der Anglistik und Kunstgeschichte in Wien und Malta sowie der Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst Wien, Promotion über europäische Mehrsprachigkeit. Zahlreiche Veröffentlichungen von Lyrik und Kurzprosa in Zeitschriften und Anthologien. 2018 erschien ihr Lyrikdebüt „MAU OEH D“ bei Sukultur, Berlin. 2016 war Cornelia Hülmbauer Finalistin beim open mike, 2018 erhielt sie den Theodor-Körner-Preis, „oft manchmal nie“ ist ihr erster Roman, Auszüge daraus wurden mit dem Marianne-von-Willemer-Preis 2021 und dem Emil-Breisach-Preis 2021 ausgezeichnet.

Foto © Florian Hülmbauer

Hülmbauer beschreibt in oft manchmal nie Eindrücke, die Dorfkinder nur allzu gut kennen: Freude der älteren Generation über ein halbes Schwein als Weihnachtsgeschenk, Fronleichnamsprozessionen im Erstkommunionskleid, Melodien auf Grashalmen blasen zu können oder einfach nicht in die Schule zu gehen, weil im Familienbetrieb Arbeit anfällt. Sie stellt auch den Argwohn der älteren Generation gegenüber schulischer Bildung dar, das Misstrauen der großen Stadt gegenüber, die eigentlich auch nur ein Dorf ist.

Poetisch klar und oft schmerzhaft empfindet man die engen Textstellen, das Dorf ist eng, die Leute in ihrer Erfahrung noch viel mehr: 

die mutter mochte nicht, dass die schönen fotos so fest in dem buch klebten. heimat heißt aber was anderes, sagte sie. 

Heimat, das bedeutet für Lesende in oft manchmal nie eine Heimatlosigkeit, weil es Orte, die man als Kind kannte, nicht mehr gibt. Es bedeutet ein Erinnern an Geschmäcker, Gerüche, Töne einer Zeit, die nicht mehr wiederkommt. Es bedeutet ein Festhalten der Phrasen, die man in der Kindheit immer hörte und nie so recht darüber nachdachte, was sie bedeuten.

Cornelia Hülmbauer, Oft manchmal, nie. Residenz Verlag 2023, 190 Seiten, €24.

Wehmütig lässt Hülmbauer Lesende mit diesem Roman trotzdem nicht werden. Dafür webt sie Mikrograusamkeiten ein, die in der Enge des Dorfes besonders dramatisch wirken: 

zum schularzt mussten wir zu dritt hinein. nachdem er mich gewogen hatte, sah er mich an und sagte, du weißt es eh. er nahm mein handgelenk, zog mit zwei fingern seitlich an der haut, drückte sie bis ins darunterliegende fleisch zusammen, sah mich wieder an und sagte nichts mehr.  

Genauso viel Platz nehmen schockierende Erlebnisse ein: 

in der pause rang mich ein junge neben dem lehrerisch zu boden und griff mir zwischen die beine. hör auf, sagte ich. er war kleiner als ich, aber er war stärker. er hörte nicht auf. wenn ich groß bin, kauf ich dir einen ring, hatte er geschrieben. 

Schlussendlich verlässt Hülmbauer die Enge des Dorfes, zieht in die große Stadt und schreibt endlich über das, was heute viel zu selten zu lesen ist: einen Roman, der zugleich Pro-Heimat und Anti-Dorf ist, eine liebevolle, fast zärtliche Momentaufnahme eines Ortes, der so öd und doch so bestimmend für das Erleben des jungen Mädchens war. Gedächtnisbilder einer Kindheit und Jugend, die man erst schreiben kann, wenn man genug zeitlichen und räumlichen Abstand gewonnen hat. Kurze Passagen, die lange nachhallen, von Begebenheiten und Schauplätzen, die oft nur mehr in der Erinnerung existieren.

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