Sprachgewitter: Helena Adlers Fretten

REZENSION Barbara E. Seidl 29. November 2022

„Fretten“ heißt in Österreich so viel wie mit Ach und Krach über die Runden kommen. Auch in Helena Adlers neuem Roman, der diese Plagerei als Titel trägt, muss sich die wortgewaltige Ich-Erzählerin viel fretten, was sie in funkensprühenden Sprachbildern zum Ausdruck bringt.

In einundzwanzig Beschreibungen von Bildern, die keineswegs Stillleben sind, zeichnet die Autorin und Künstlerin ein schonungsloses Sittengemälde. Kuh -und Kirchenglocken mühelos übertönend poltert die Erzählerin durch die österreichische Provinz und bricht Tabus, noch bevor diese in Worte gefasst werden können. Nichts und niemand bleibt vor ihrem Zorn verschont.

Granteln und geifern ist in der österreichischen Literatur an sich nichts neues, doch Helena Adler lässt Wutbürger wie Thomas Bernhard alt aussehen.

Wütend schnappt die Erzählerin um sich, jedes Wort sticht wie eine Gabel in die sie umgebenden Heuhaufen. Voll Abscheu und dabei dennoch irgendwie auch genussvoll entlarvt sie das sie umgebende Schauspiel einer nur scheinbar heilen Welt.

Die Menschen schienen perfekt an ihr Umfeld angepasst und sahen aus wie das Gemüse, das sie aus der Erde zogen, und wie das Fallobst, das am Boden landete.

Foto © Eva Trifft

Helena Adler, geboren 1983 in Oberndorf bei Salzburg in einem Opel Kadett. 
Lebt als Autorin und Künstlerin in der Nähe von Salzburg.

Studium der Malerei am Mozarteum sowie Psychologie und Philosophie an der Universität Salzburg.

2020 erschien ihr Romandebüt Die Infantin trägt den Scheitel links bei Jung und Jung, 2022 folgte Fretten. Beide Bücher würden für die Shortlist des Österreichischen Buchpreises ausgewählt.

Es ist vor allem das Fallobst, das vergorene, verdorbene, das die Erzählerin aufklaubt und den Lesenden vor Augen führt.

Im Heurigen sitzen heute wieder die Gestrigen und gären vor sich hin wie der Most vor ihren Bäuchen.

Doch nicht nur die Umgebung, auch die Erzählerin selbst ist keineswegs eine Heilige. Mit einer Bande von Vandalen zieht sie wütend umher, plündert einen Schlachthof um in Tierkadavern Drogen zu schmuggeln. Bis eines Tages nicht nur das eigene Leben auf dem Spiel steht, sondern auch das des Kindes, dem sie das Leben schenkt.

So zieht sie sich das Mutterkostüm über und wird in ihrer Liebe zum Scheusal im Kampf gegen die Sterblichkeit.

Es ist ein Sprachgewitter, das den Leser*innen beim Lautlesen die Ohren wackeln lässt. Vergnügt nimmt die Autorin nicht nur das dörfliche Leben, sondern auch die Sprache auseinander, spielt Worte gegeneinander aus und entblößt ihre Zweideutigkeit. Ungläubig wandern die Augen über die Zeilen und versuchen Helena Adlers Einfallsreichtum zu fassen, fassungslos darüber, was mit Sprache alles möglich ist.

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