Ich will der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten

© Emanuel Aeneas Photography

Katharina Schaller ist Literaturscout und Text- und Konzeptentwicklerin für die Verlagsgeschwister Löwenzahn und Haymon. Mit Unterwasserflimmern hat sie nun ein Romandebüt vorgelegt, das mit einer unverblümten Darstellung von Körperlichkeit und Sexualität aus weiblicher Sicht aufhorchen lässt. Im Interview spricht sie über die Lust am Schreiben, über gesellschaftliche Tabus und die Rolle von Berührungen in der zwischenmenschlichen Kommunikation.

Du bist selbst im Verlagswesen tätig, unter anderem als Literaturscout, nun hast du quasi die Seite gewechselt und selbst einen Roman geschrieben. Hat dich das Schreiben immer schon gereizt?

Ja, in gewisser Weise schon. Nicht immer war mir bewusst, dass ich literarisch schreiben möchte. Und auch nicht, wie wichtig es im Grunde für mich ist, um mich zu sortieren, mich auszudrücken. Das Schreiben ermöglicht mir, in einen Zustand zu kommen, den ich durch nichts anderes erreichen kann. Ekstatische Momente, „Flow“, das völlige Aufgehen in einer Aufgabe. Aber die Lust auf die Arbeit an Texten, auf das Feilen daran, auf die inhaltliche Auseinandersetzung war immer da. 

Die Protagonistin in Unterwasserflimmern bricht aus ihrem geordneten Leben aus, um sich selbst zu finden. Sie testet dabei Grenzen, die geschlechtsspezifische Unterschiede im Hinblick auf gesellschaftliche Tabus markieren. War es dir beim Schreiben auch ein Anliegen, diese Unterschiede indirekt zu thematisieren? 

Ja, das war mir ein großes Anliegen. Einerseits will ich anhand der Protagonistin aufzeigen, welche gesellschaftlichen Ansprüche, moralischen Vorgaben und Erwartungen an Menschen, vor allem an weiblich gelesene Personen, gestellt werden, mit welcher Härte und Wucht sie uns treffen und was das auslösen kann. Was mir aber genau so wichtig war: zu zeigen, wie eine weibliche Perspektive bewertet wird. Und das wird erst durch die Rückmeldung der Leser*innen deutlich und sichtbar. Es gibt verschiedene Arten der Kritik, und natürlich freuen mich Bewertungen von Menschen, die mir sagen, wie gut sie das alles nachspüren können, ungemein. Das liebe ich, denn es zeigt: Da sind Menschen, die sich durch meine Worte verstanden fühlen. Und was gibt es Schöneres? Was ich aber auch reizvoll finde: Leser*innen, die sagen, die Protagonistin wäre ihnen unsympathisch. Leser*innen, die sagen, ich würde ein schlechtes Frauenbild zeichnen. Solche, die den Betrug der Protagonistin als unmöglich einstufen, aber nicht den der männlichen Figuren. Solche, denen der Sex aus der weiblichen Perspektive „zu viel“ ist. Das ist genau das, was ich damit erreichen will: der Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten. Nicht jeder will in diesen Spiegel schauen. Aber der nächste Schritt wäre es, sich zu fragen: Bewerte ich das jetzt so, weil das aus einer weiblichen Perspektive erzählt wird? Bewerte ich eine Protagonistin als „unsympathisch“, weil ich in einem System sozialisiert wurde, das mir eingetrichtert hat, dass Frauen hauptsächlich lieb und nett und unterwürfig sein sollen? Stößt mir der Betrug eines verheirateten Mannes nicht auf, weil es ein Mann ist? Bin ich Sexszenen aus einer weiblichen Perspektive nicht gewohnt, will ich das nicht lesen, weil der Literaturkanon und das Feuilleton von Autoren dominiert werden? Das sind Fragen, die wir uns alle stellen sollten. Fragen, die ich mir immer wieder selbst stellen muss. Niemand ist gefeit davor, so zu denken. Wir haben eine ähnliche gesellschaftliche Prägung erfahren. Aber der Punkt ist doch: Bin ich bereit mich damit auseinanderzusetzen, bin ich bereit, mich in andere Menschen hineinzuversetzen, mich durch andere Perspektiven neu zu positionieren? 

In Unterwasserflimmern bedienst du dich einer Sprache, die vor allem das sinnliche Erleben in den Vordergrund rückt. Gibt es Autorinnen, die dich hierbei inspiriert haben?

Oh ja, nicht unbedingt nur in Bezug auf die Sinnlichkeit, aber es gibt viele Autor*innen, die mich beeinflusst haben: Anaïs Nin, Catherine Millet, Kathy Acker, Ocean Vuong, James Baldwin, Leïla Slimani, Sylvia Plath, Emma Becker, Kathleen Collins. Das alles sind Autor*innen, die es schaffen, Gefühle auf eine ganz eigene Art zu transportieren und zu vermitteln. Die Wahrnehmung der Protagonistin ist stark auf andere Menschen fokussiert, auf das Gegenüber, auf Gerüche, Berührungen, Bewegungen, Körpersprache. Sie verortet sich dadurch selbst. 

Berührungen nehmen im Roman eine wichtige Rolle ein, vor allem auch in Bezug auf zwischenmenschliche Kommunikation. Nun leben wir in einer Zeit, in der es viel seltener zu Berührungen kommt. Wie wird sich die zwischenmenschliche Distanz deiner Meinung nach auf unser Bedürfnis nach körperlicher Nähe auswirken?

Puh, das ist schwierig zu beantworten. Einerseits befinden wir uns in einer Situation, in der wir uns körperlich nicht nahe sein sollten. Berührungen, Nähe oder Abstand, Sex – das alles sind Formen der Kommunikation, für die einen mehr, für die anderen weniger, oder sagen wir: für bestimmte Personen ist das wichtiger als für andere. Aber auch wissenschaftlich betrachtet: Körperkontakt und Berührungen führen zu einer Hormonausschüttung. Das sind Grundbedürfnisse der Menschen. Ich lese oft, wie sehr sich viele gerade jetzt nach einer Umarmung sehnen, danach, anderen nahe zu sein, körperlich in Verbindung zu treten. Und andererseits gibt es Leute, die sagen: Ich bin froh, dass ich niemandem mehr die Hand schütteln muss, dass meine Grenzen dessen, wie viel Nähe ich aushalten kann, nicht mehr so oft überschritten werden. Ich glaube, dass wir mit unseren Körpern und der Art, wie wir durch sie mit anderen agieren, Gespräche führen, Beziehungen pflegen. Und dass das etwas ist, dass wir dringend brauchen. Wobei es da nicht nur um Nähe geht, sondern ganz grundsätzlich darum, wie wir mit anderen in Kontakt treten. Und körperliche Nähe bedeutet nicht automatisch geistige Nähe. Trotz allem kann ich mir nicht vorstellen, dass unser Bedürfnis nach Berührungen abklingt. Aber vielleicht verändert es sich gerade, richtet sich anders aus. In jedem Fall macht diese Situation etwas mit uns, und ich bin gespannt, wohin die Entwicklung führt. 

Du hast nun deinen ersten Roman veröffentlicht, werden noch weitere folgen?

Das wäre natürlich schön. Ich arbeite bereits an einem zweiten Romanprojekt – eines, das etwas herausfordernder ist, was die Perspektiven angeht. Zudem ist die Geschichte nicht so linear erzählt wie die in „Unterwasserflimmern“. Es ist nicht so, dass ich mich nach dem ersten Buch leer fühlen würde oder dass das die einzige Story ist, die ich immer erzählen wollte. Ich bin sehr begeisterungsfähig und habe schon einige Themen im Kopf, über die ich gerne schreiben würde. Ich glaube und hoffe jedenfalls, dass mich das Schreiben weiterhin begleiten wird. 

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