Stefanie Sargnagel ist mit Statusmeldungen im Internet großgeworden. In ihrem ersten Roman, Dicht. Aufzeichnungen einer Tagediebin, erinnert sie sich an ihre Jugendzeit zurück und entführt uns in die Welt der Strawanzer und Lebenskünstler.
Während wir kiffend die Weltrevolution planten, fokussierten wir uns zunehmend auf das Schulsystem als Kern des ganzen Problems.
Dicht (Rowohlt 2020)
Stadtkinder werden oft bedauert. Sie hätten viel weniger Bewegungsfreiheit und an jeder Ecke der Großstadt lauere Gefahr. Und doch haben Stadtkinder einen großen Vorteil gegenüber Landkindern: aufgrund der höheren Bevölkerungsdichte gibt es viel mehr schräge Gestalten, die ein neugieriger junger Freigeist beobachten und im besten Fall sogar kennenlernen kann.
Dicht. Aufzeichnungen einer Tagediebin ist voll von solch schrägen Vögeln: Gestrandete, Tschecheranten, Schulschwänzerinnen – mit einem Wort allesamt Lebenskünstler*innen. Stefanie Sargnagel setzt ihnen ein liebevolles Denkmal. Mit karikaturistischem Blick bringt sie diese Unikate den Leser*innen näher, ohne sich dabei über sie lustig zu machen. Denn während sich andere vielleicht hinter der Maske eines seriösen Anzugträgers verstecken, nehmen sich Charaktere, wie etwa der Blonde Herbert, den Luxus heraus, einfach so zu sein wie sie sind.

Das Buch:
Stefanie Sargnagel, Dicht. Aufzeichnungen einer Tagediebin. Rowohlt Verlag. 256 Seiten, 20 €
Es ist ein bunt gemischtes Biotop aus schulschwänzenden Jugendlichen, die sich kiffend und trinkend den konservativen Erwartungen ihrer gutbürgerlichen Eltern entgegenstellen, und älteren verhaltenskreativen Männern, die mit der Bierdose in Händen zwischen Genie und Wahnsinn taumeln. Im Mittelpunkt steht Michi, ein vierzigjähriger ehemaliger Sängerknabe mit einem Hang zu gewitzten Wortspielen. Michi wird zu einem Anker, der die ungewöhnliche Clique zusammenhält, seine 30m2 Wohnung zum sicheren Hafen für alle, die woanders keinen Platz finden.
Dicht ist in vieler Hinsicht ein urwienerisches Buch. Melancholisch und feucht fröhlich zugleich liest sich Sargnagels Roman wie ein Lobgesang auf das goldene Wiener Herz, das manchmal vielleicht ein bisserl raunzt, letztendlich aber doch mit den Haberern für die letzten Euros geschwisterlich ein Sechsertragerl teilt. Wie ein weiblicher Charles Bukowski führt uns die Autorin in diesem Coming-of-Age Roman durch die B-Seite der Stadt, wo, wie bei einer guten Schallplatte, bekanntlich die interessanteren Geschichten zu finden sind.
Im Gespräch für Das Litrophon gibt Stefanie Sargnagel Einblicke in die Entstehungsgeschichte ihres autofiktionalen Romans und erzählt, wie es dazu kam, dass sie Schriftstellerin wurde.
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Zur Autorin:
Stefanie Sargnagel, geb. 1986, studierte in der von Daniel Richter angeleiteten Klasse der Akademie der Bildenden Künste Wien Malerei, verbrachte aber mehr Zeit bei ihrem Brotjob im Call-Center, denn: «Immer wenn mein Professor Daniel Richter auf Kunststudentenpartys auftaucht, verhalten sich plötzlich alle so, als würde Gott zu seinen Jüngern sprechen. Ich weiß nie, wie ich damit umgehen soll, weil ich ja Gott bin.» Seit 2016 ist sie freie Autorin – und verbringt seitdem mehr Zeit bei ihrem Steuerberater. Sie erhielt den BKS-Bank-Publikumspreis beim Wettbewerb zum Ingeborg-Bachmann-Preis 2016.