PODCAST Barbara E. Seidl-Reutz 12.Dezember 2024
Wie sollten wir mit unserer Trauer um einen nahestehenden Menschen umgehen? Wie viel Zeit dürfen wir uns zum Trauern nehmen? Für ihren Debütroman hat sich Caro Reichl ein etwas ungewöhnliches ausgewählt: In „Was glänzt, verschwindet mit uns“ geht es um Trauerbewältigung und das Sich-Auseinandersetzen mit den eigenen Gefühlen in einer emotionalen Ausnahmesituation.
Wir begegnen Nola, einer jungen Frau, die als Psychotherapeutin arbeitet, den Kontakt zu ihrer eigenen Gefühlswelt jedoch scheinbar verloren hat. Als ihre Schwester im Sterben liegt, hat Nola Schwierigkeiten, mit ihrer Trauer umzugehen. Sie trifft intuitive, irrationale Entscheidungen, reagiert anders als es sich ihre verantwortungsvolle älteste Schwester wünscht. Es ist Nola immer leicht gefallen, sich hinter den Bedürfnissen anderer zu verstecken, denen ihres Partners, ihrer Mutter und jenen ihrer Patientinnen. Auch die verstorbene Schwester hatte eine große Präsenz in Nolas Leben, doch nun ist da plötzlich nur mehr sie selbst und eine verwirrende Flut an Empfindungen.

Schon bald wird klar, dass Nola, die sich immer um andere sorgt, selbst wen bräuchte, der sich um sie kümmert. Da sich im Roman niemand dafür anbietet, würde man das als Leserin gerne übernehmen. „Lauf“ möchte man der jungen Frau am liebsten zurufen, wenn sie ihren egozentrischen, rechthaberischen Freund wieder einmal bekocht, während der nicht einmal bemerkt, dass sie nur die Beilagen isst. Doch Nola läuft nicht – sie fliegt.
Wie der mythologische Phönix, der verbrennt und schließlich aus seiner eigenen Asche neu aufersteht, durchlebt Nola einen schmerzhaften, aber notwendigen Entwicklungsprozess. Der Phönix wird so zum zentralen Motiv in Caro Reichls Roman und symbolisiert Nolas Weg zur Selbstfindung und inneren Stärke. Als verbindendes Symbol, das Schicksal und Transformation zugleich markiert, schmückt er sowohl Nolas Unterarm als auch den ihrer Schwester.
Behutsam und trotz der schweren Thematik mit einer gesunden Prise Humor lässt uns die Autorin teilhaben an Nolas kleinen Höhen und großen Tiefen. Sie bleibt dabei ganz nah dran an ihrer Protagonistin und zieht die Leserinnen in den Sog der Erzählung, sodass es schwer fällt, das Buch wieder aus der Hand zu legen.
Im Podcast-Gespräch spricht die Autorin über ihre Erfahrungen während des Schreibprozesses und auch darüber, warum es so wichtig ist, sich mit dem Thema Trauer auseinanderzusetzen.
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Caro Reichl (geb. 1993 in Linz) arbeitet als Kreativdirektorin sowie Autorin in Wien und war Teilnehmerin des Klagenfurter Literaturkurses 2023. Sie erhielt u. a. den Wiener Werkstattpreis 2020 sowie Stipendien des BMKÖ für ihr Debüt „Was glänzt, verschwindet mit uns“ (2024, Leykam-Verlag).