Bettina Balàka über Wir pfeifen auf den Gurkenkönig

von Bettina Balàka

Ich weiß noch, wie mich schon das Titelblatt dieses Buches begeisterte: „Christine Nöstlinger“, stand da, darunter „Wir pfeifen auf den Gurkenkönig“ und dann: „Wolfgang Hogelmann erzählt die Wahrheit, ohne auf die Deutschlehrergliederung zu verzichten.“

Gleich am Anfang ein anarchisch-ironischer Seitenhieb gegen die Korsettregeln der Deutschlehrer, das verhieß Gutes! Auch über den Begriff „Wahrheit“ dachte ich nach – es ging wohl um die Wahrheit innerhalb des Romans, denn in jener außerhalb desselben gab es ja keine Gurkenkönige. Oder etwa doch?

Eines Tages sitzt im Haus der Familie Hogelmann ein noch nie gesehenes Wesen auf dem Küchentisch. Es ist einen halben Meter groß und sieht aus wie eine dicke Gurke, trägt eine Krone auf dem Kopf, weiße Zwirnhandschuhe an den Händchen und hat rotlackierte Zehennägel. Dazu spricht es sehr eigentümlich und sagt Dinge wie: „Wir ist gewohnt, dass uns jedliches küssen den Hand!“ Der schräge König aus dem Geschlecht der Treppeliden bittet um Asyl, da er von seinem Volk, den Kumi-Oris im unteren Keller, vertrieben worden ist. Ein Portal der Fantasie ist aufgetan, mitten unter uns gibt es eine Parallelwelt geheimnisvoller Wesen, die ihre eigenen Probleme haben – und sich von ausgewachsenen Kartoffeln ernähren. Gekonnt kontrastiert Nöstlinger die Kumi-Ori-Welt mit dem ganz normalen Alltag der Familie Hogelmann. 

Dem „Gurkinger“ gelingt es, die Familie zu spalten, den Papa und den jüngsten Sohn Niki auf seine Seite zu ziehen, während die anderen – Mama, Opa, Ich-Erzähler Wolfgang und seine Schwester Martina – zunehmend gegen ihren eigenen Patriarchen Papa rebellieren. Das 1973 erschienene Buch thematisiert auch soziale Umwälzungen in den Geschlechterverhältnissen, etwa wenn der Deutschlehrer nur „Vaterunterschriften“ gelten lässt und die Mutter daraufhin erklärt, dass Männer und Frauen jetzt bekanntlich gleichberechtigt seien. Für mich als Kind der Zeit waren das wichtige Erkenntnisse, ganz abgesehen von dem Spaß, alle Keller nach Kumi-Oris zu durchsuchen.

Das Buch ist auch heute noch ein Lesevergnügen und gerade weil es eine Reise in die Vergangenheit ist, auch historisch interessant. Es wird in Schillingen bezahlt, nach Jugoslawien auf Urlaub gefahren, zur Rattenbekämpfung DDT gestreut und die Männer sagen: „Küss die Hand, Gnädigste.“ Es vereint Drama, Humor, Fantasie, Sozialkritik und einen lustvollen Umgang mit Sprache. Leider holten Nöstlinger die Deutschlehrer in Gestalt des Lektorates doch noch ein. Recht erratisch wurde der Text für den deutschen Markt angepasst, und so heißt es dann mitten im schönsten Österreichisch plötzlich „Abfalleimer“ statt „Mistkübel“ und „Tüte“ statt „Sackerl“.


Bettina Balàka straft jede Trennung von E und U Lügen – in ihren Romanen zeigt sie, wie spielerisch man literarisches Niveau, lebendige Figurenzeichnung, Wissen und feinsinnigen Humor mit guter Dramaturgie verbinden und damit grandios unterhalten kann. Geboren 1966 in Salzburg, lebt sie als freie Schriftstellerin in Wien. Zahlreiche Buchveröffentlichungen, Theaterstücke und Hörspiele. Vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Theodor-Körner-Preis (2004), dem Salzburger Lyrikpreis (2006) und dem Friedrich-Schiedel-Literaturpreis (2008). Zuletzt erschienen: “Eisflüstern”. Roman (2006), “Schaumschluchten”. Gedichte (2009). Bei Haymon: “Auf offenem Meer”. Erzählungen (2010), “Kassiopeia”. Roman (2012, HAYMONtb 2013), “Unter Menschen”. Roman (2014) sowie “Die Prinzessin von Arborio”. Roman (2016). Neben Romanen veröffentlicht Bettina Balàka Essays zum Zeitgeschehen, zuletzt “Kaiser, Krieger, Heldinnen. Exkursionen in die Gegenwart der Vergangenheit” (Haymon 2018). Im August 2023 erscheint Balàkas neuer Roman “Der Zauberer vom Cobenzl” bei Haymon. Mit die „Die glücklichen Kinder der Gegenwart“ wendet sich Bettina Balàka dem zu, was unser Heute prägt. Den Fluten und der Flucht, den Trümmern in und um uns. http://www.balaka.at

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