REZENSION Barbara E. Seidl, 7. Oktober 2023
Ein Oktopus denkt anders, denn im Gegensatz zum Menschen sind die meisten Neuronen des Tiers nicht im Gehirn angesiedelt, sondern in den Armen. Das Ergebnis ist eine Vielzahl an Blickwinkel, die sich für uns nur schwer nachvollziehen lassen. Luca Kieser hat es in seinem Romandebüt Weil da war etwas im Wasser dennoch versucht.
Im Mittelpunkt seines Romans steht eine Kalamarin, deren Arme unterschiedlicher kaum sein könnten. Da gibt es den süßen und den müden Arm, den etwas schüchternen und den hehren, den blendenden und den halben Arm. Sie alle haben eine eigene Geschichte zu erzählen.
Die vielseitigen tentakulären Perspektiven werden durch weitere Geschichten ergänzt, die einen Blick von außen auf dieses faszinierende, lange Zeit als furchteinflössend angesehene Tier werfen. Auffallend ist, dass die populärwissenschaftliche Odyssee in die Rezeptionsgeschichte des Tintenfisches vorwiegend männlich besetzt ist: so begegnen wir etwa dem Science-Fiction Autor Jules Verne und dem Bühnenbildner Robert Mattey.

Luca Kieser wurde 1992 in Tübingen geboren. Er studierte Philosophie sowie Sprachkunst und ist inzwischen auf Naturethik spezialisiert. Ausgezeichnet wurde er unter anderem mit dem Wortmeldungen Förderpreis, dem Lyrik-Lichtungen-Stipendium und für einen Auszug aus »Weil da war etwas im Wasser« mit dem FM4-Wortlaut. Er lebt in Wien. http://www.lucakieser.de

Luca Kieser, Weil da war etwas im Wasser. Picus Verlag 2023. 320 Seiten. € 26.
Wie schwer es ist, aus der Sicht des Anderen zu schreiben, noch dazu aus der Sicht eines Tieres, dessen Denkweise sich grundlegend von der eigenen unterscheidet, darüber denkt der Autor im letzten Teil seines Romans nach. Dabei wird deutlich, dass jede Geschichte letztlich auch die eigenen Erfahrungen widerspiegelt. Wenn es um eigene Erfahrungen geht, so hat sich Luca Kieser mit seiner autofiktionale Abhandlung über Penisprobleme für einen besonders mutigen Zugang entschieden.
Nicht nur das Experimentieren mit Erzählperspektiven und Textsorten ist ungewöhnlich, auch die Struktur des Romans fordert die Leser*innen heraus und lädt dazu ein, unterschiedliche Lesearten auszuprobieren. So kann der Roman linear gelesen werden, oder man folgt den Hinweisen der Tintenfischarme und blättert im Buch vor und zurück.
Mit Weil da war etwas im Wasser ist dem Autor ein Experiment gelungen, das sicherlich nicht für alle Leser*innen gleichermaßen ansprechend ist. Doch all jenen, die sich auf diesen Roman einlassen, eröffnet sich Meer an spannenden Erzählsträngen und ein starkes Plädoyer für eine alternative Form der Wahrnehmung.