„Von Tintenfischen können wir lernen, dass es sehr andere Arten zu existieren gibt.“ Luca Kieser über „Weil da war etwas im Wasser“

Foto © Nicolaus Stein

Wie es wohl ist, das Leben aus der Sicht eines Riesenkalamars zu betrachten? In seinem Romandebüt Weil da war etwas im Wasser (Picus Verlag, 2023) lässt Luca Kieser die Arme eines monströsen Tintenfisches erzählen. Doch warum geht von diesem Tier so eine große Faszination aus und welche Möglichkeiten haben sich durch die ungewöhliche Herangehensweise für den Autor beim Schreiben ergeben? Mehr dazu im Interview.

Protagonistin, oder vielleicht besser ausgedrückt, das Zentrum von „Weil da war etwas im Wasser“ ist eine Riesenkalmarin. Das ist ein Tier, von dem schon seit jeher und in letzter Zeit wieder verstärkt eine große Faszination ausgeht. Was hat Sie an diesem Tier am meisten beeindruckt?

An Kraken, an Oktopussen und Kalmaren, an Tintenfischen überhaupt, ist eine Menge beeindruckend. Ihre riesigen Augen. Ihre drei Herzen. Die Farbenspiele auf ihrer Haut. Mich persönlich fasziniert wohl am meisten, dass sie nicht nur ein zentrales Gehirn besitzen, sondern sich in ihren Tentakeln und Armen weitere Verdichtungen von Nerven finden. Als Mensch könnte man vielleicht sagen: Das sind kleine Gehirne und die Arme denken für sich, handeln autonom. Als Tintenfisch – ich weiß nicht, wie man das als solcher sehen würde.

Welche Möglichkeiten haben sich für Sie aufgrund der Einzigartigkeit des Kalmars und seiner Fangarme beim Schreiben ergeben?

„Weil da war etwas im Wasser“ ist von seinem Aufbau her einem Kalmar nachempfunden. Jedem Körperteil entspricht ein Teil des Romans. Außerdem ist die zentrale Erzählinstanz ein Kalmar, genauer gesagt dessen Arme. Neben der Geschichte „ihres Kalmars“ erzählen diese jeweils noch eine eigene Geschichte. Weil die Arme sehr unterschiedlich sind – es gibt zum Beispiel den Süßen, aber auch den Müden oder den Bisschen-Schüchternen Arm – sind ihre Erzählungen auch sehr verschieden. Das eröffnet natürlich die Möglichkeit, die unterschiedlichsten literarischen Formen ineinander greifen zu lassen. Der Müde Arm, beispielsweise, erzählt ein fiktives Tagebuch, der Bisschen-Schüchterne eine autobiografische Passage, der Süße eine Story mit Thriller-Plot. Es gibt daneben noch eine Familienchronik, eine Rede, eine richtige kleine Gemeinschaft. Manchmal fallen sie sich auch ins Wort.

Der Roman lässt mehr als eine Leseweise zu. Man kann ihn linear lesen, oder den Verweisen in Fußnoten folgen und zwischen Kapiteln hin und her springen. Hatten Sie während des Schreibprozesses auch bereits verschiedene Lesearten im Hinterkopf, oder ist diese Idee erst im Nachhinein entstanden?

Mir hat es als Kind immer Spaß gemacht, wenn ich beim Lesen Entscheidungen treffen durfte. Und auch heute merke ich bei Lesungen, dass sich die Stimmung hebt, wenn man gemeinsam entscheidet, welche Passage ich lese. Ich bin mir sicher – und das haben mir auch bereits Leser*innen berichtet – dass man verschiedene Wege durch den Roman nehmen kann. Natürlich gibt es aber eine Lesart, die ich allen ans Herz legen würde – das ist die, in der der Text angeordnet ist. Also einfach klassisch Seite nach Seite 😉 Ich bin aber überzeugt: Solange man liest, kann man nichts falsch machen. Dann ist alles richtig.

Eine zentrale Rolle spielen auch die Assoziationen, die Menschen mit Tieren, in diesem Fall mit Tintenfischen, verbinden. Wie ist es Ihnen gelungen, sich in den Kalmar hineinzufühlen?

Ich glaube nicht, dass es mir gelungen ist, mich wirklich in einen Tintenfisch einzufühlen. Wie denn auch. Ich habe ja schon keine Ahnung, wie es ist ein anderer Mensch zu sein. Aber mir ist etwas anderes gelungen, hoffe ich, und zwar eine überzeugende literarische Figur zu schaffen. Und das ging nur, indem ich bestimmte Vorstellungen eines Ungeheuers dekonstruierte und andere Aspekte, die ein Tintenfisch mitbringt, zum Thema machte. Ich kenne eine solche Herangehensweise als „Historisierung“ aus der Geschichtsschreibung und als „Situierung“ aus Naturethik-Diskursen. Um schreiben zu können, wie ein Tintenfisch sich unter Wasser bewegt, musste ich auch davon schreiben, warum ich – ein junger Mann, der in Wien lebt – das tut.

Was können wir, Ihrer Meinung nach von Kalmaren lernen?

Von Tintenfischen können wir lernen, dass es sehr andere Arten zu existieren gibt. Dass es andere Wege durchs Leben gibt, die andere Geheimnisse bereithalten. Und dass die Differenzen zwischen uns und anderen – genauso auch unter uns – wichtig sind. Dass wir sie nicht übergehen dürfen. Dass wir aber bei aller Andersartigkeit auch etwas Gemeinsames teilen. Mit Allem. Nicht nur mit anderen Menschen und auch nicht nur mit den Tieren. Vielleicht können wir von Kalmaren lernen, wie das geht: Sich verwandt zu machen mit dem* Anderen*.


Luca Kieser wurde 1992 in Tübingen geboren. Er studierte Philosophie sowie Sprachkunst und ist inzwischen auf Naturethik spezialisiert. Ausgezeichnet wurde er unter anderem mit dem Wortmeldungen Förderpreis, dem Lyrik-Lichtungen-Stipendium und für einen Auszug aus »Weil da war etwas im Wasser« mit dem FM4-Wortlaut. Er lebt in Wien. http://www.lucakieser.de

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