Steirische Heilsversprechungen: Maria Hofers Arsen

REZENSION Katharina Peham 12. Oktober 2023

Der Wind weht in den Bahnen durch das Feld, die Blätter wiegen sich, das Muster im Feld schaut aus wie ein grünes, organisches, riesiges, sich bewegendes Tigerfell. 

Arndorf ist ein Sehnsuchtsort mitten im Nirgendwo. Touristen verlaufen sich kaum in diese Gegend – bis sich herumspricht, dass es Arsen in den Tiefen der Berge gibt, genauso wie Hüttrauch auf die Butterbrote. Heilsversprechungen werden gemacht: schön soll das Arsen machen und nicht so schädlich wie man angenommen hat. Die Leute vom Dorf träumen von einem besseren Leben und einer perfekten Gemeinschaft, die Außenstehende versorgt und sich selbst gut bereichert. Schnell greift eine Geschäftsidee in Arndorf um sich – von der Vermarktung eigens konzipierter Selbstfindungsseminare, bis hin zu Wanderungen in der Natur und dem Abbau des Arsens durch Tourist*innen sowie dessen illegale Vermarktung – kurzum: Arndorf entpuppt sich als Tourist*innenmagnet, zieht aber mindestens genauso viele innerdörfliche Konflikte an.

Arsen, welches im Leykam Verlag Platz gefunden hat, reiht sich in die Tradition österreichischer Anti-Heimatromane ein, versetzt Felix Mitterers Piefkesaga der 90iger Jahre in die steirische Gegenwart. Hier verirrt sich keine Berliner Unternehmerfamilie nach Tirol, sondern gut betuchte Tourist*innen in die tiefste Steiermark, die auf der Suche nach Authentizität sind und das einfache, gute Leben für sich entdecken wollen. Dazwischen tummeln sich Influencer*innen, die das Arsen via Online-Events und Multilevel-Marketing bewerben. Sie werden bespaßt mit Besuchen und Arbeiten in den Arsen-Minen, genauso wie mit dem Verkauf von Arsen-Seife oder Heilsteinen, sowie dem losen Pulver. Ebenso entsteht die Idee, dass Arsen als Energy-Drink abzufüllen: 

Solche Lebensmittel reinigen den Körper von innen her. Ein derartig von innen her gereinigter Körper ist gesund, schön und erfolgreich. […] Dabei ist Essen ein Zerstörungsakt und sonst nichts.

Foto @ Lisa Edi | Maria Hofer, 1987 in der Steiermark geboren, studierte Germanistik und Kunstgeschichte in Wien. Sie veröffentlichte u. a. Reportagen im VICEMagazin, literarische Texte in The Gap und im SORT-Magazin. 2017 sorgte sie mit dem Reisetagebuch über einen Marokko-Urlaub für Furore. Ihr Debütroman »Jauche« (Dahimène Edition) erschien 2015. Für »Arsen« erhielt sie den Literaturpreis »Schreiberei« der Steiermärkischen Sparkasse 2023.

 

Die Dorfbewohner*innen verbünden sich zunächst, um möglichst erfolgreich das Marketing voranzutreiben, sind aber mindestens genauso feindselig, wenn es darum geht für sich den größten Profit herauszuschlagen, häufig gepaart mit dörflicher Frauenfeindlichkeit: 

Schwierig wird es, wenn die Frauen dann irgendwann überhandnehmen. Wenn man sie das Haus dekorieren lässt, in das man jeden Tag heimkommt. Rupert füllt sich wie ein Fremdkörper in einem riesigen Uterus mit Wänden aus Beton.

Hofers Ton ist böse, witzig, überlegt. Sie schreckt nicht davor zurück die Figuren zu überzeichnen. Die Figuren sind Mittel zum Zweck. Hofer zeichnet hier eine Satire, die sehr nah an dem Tourismus der Luftkur- und Erholungsorte vorbeischrammt, und damit eine Art Psychohygiene für die österreichische Tourismuskultur betreibt. Das Buch lebt durch seine bildstarke Sprache, hält in der Metaebene die Kritik zu Wirtschaft und Politik bereit. Als zentrales Thema liefert Hofer die Kritik am Raubbau der Natur mit: Es werden Wiesen zertrampelt, vermeintliche Dächer auf Almen gesucht, um neue Hütten zu errichten, die Schädigung von Menschen und Tieren in Kauf genommen, um mit Tourismus ordentlich viel Geld zu verdienen. 

Hofer bringt in „Arsen“ auf feinfühlige Weise Kritik an einer Gesellschaft zum Ausdruck, die nach Selbstverbesserung sucht und dabei auf Heilsversprechen setzt.

Maria Hofer, Arsen. Leykam Verlag 2023. 320 Seiten. €24,50.

Man lernt, wie man sich selber abtrainieren kann, dass man kaputt ist. 

Der inkohärente Sprachfluss an manchen Stellen schmälert das Leseerlebnis dieses wilden und zutiefst österreichischen Buches etwas. Gleichsam vermisst man etwas die Profilierung der einzelnen Figuren, die sich zum Verwechseln ähnlich werden und fast etwas beliebig wirken. Unglücklicherweise wird es wohl auch zu Verwechslungen aufgrund des ähnlich klingenden Titels mit dem Buch „Arson“ von Laura Freudenthaler kommen, das dieser Tage im Jung&Jung Verlag erschienen ist. Hofers Witz und Charme hingegen sind einzigartig:  

Die Tracht war eigentlich nie was anderes als das Bauerncosplay von Adeligen.

Freund*innen der Brenner-Reihe von Wolf Haas dürfte das Buch interessieren, genauso wird es wohl all jene begeistern, die schon Freude an Franz Innerhofers „Schöne Tage“ hatten, oder mit Liebe den „Hödlmoser“ von Reinhard P. Gruber gelesen haben.  

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