REZENSION Katharina Peham, 21. Oktober 2022
Im Halbschlaf sind die Gedanken gekommen. Gedrückt haben die vorn in der Stirn. Und in der Brust. Immer härter sind sie geworden, jeder Gedanke ein Brocken, bis der Kopf selber zum Brocken geworden ist und sie aus dem Steinernen nicht mehr herauskommen ist.
Alles ist düster und dunkel in der Rotte, alles beginnt mit einem rätselhaften Tod. Der Vater der 26-jährigen Elfriede „Elfi“ Reisinger kommt in der Nacht nicht nach Hause. Zunächst macht man sich keine Sorgen, ist er doch als Trinker bekannt. Später soll er tot im Bach gelegen sein, niemand findet ihn auf, die Leiche ist und bleibt verschwunden. Elfi und ihre Mutter führen den Hof und holen sich Hilfe bei Franz Kehrtegger, einem Bauerssohn. Der Stallbursche steigt mit der Heirat von Elfi zum Bauern auf. Die Rotte, eine Ansammlung von fünf Bauernhöfen, ist alles andere als erfreut über die Hochzeit, gilt es doch, sich das angeblich versprochene Seegrundstück, den Wald und die Felder unter den Nagel zu reißen. Elfi wird mehr und mehr in Bedrängnis gebracht, sei es durch die Anhäufung der Schulden ihres Mannes oder die Unmöglichkeit die Versorgung des Sohns, der mittlerweile kranken Mutter und des Hofes unter einem Hut zu bringen. Elfi driftet mehr und mehr ab in ihre Innenwelt und wagt das Unmögliche: Ein Ausbrechen aus den Machtgefügen der Rotte…
Die Rotte ist mehr als eine Ansammlung von Menschen: Es wird gepackelt, gegeneinander ausgespielt, getratscht und gelogen, um das Machtgefüge zu seinen Gunsten zu verändern. Auf den ersten Blick erkennt man nicht, wem zu trauen ist oder nicht, alle sind sie gut, alle sind sie böse.

Geschickt hat das Fischer eingefädelt: Er erzählt die Geschichte rund um Elfi, so als säße man mit ihm beisammen. Der locker leichte Plauderton täuscht nicht hinweg über den Ernst der Sache: Böse und tief kommen da die verborgensten, dunkelsten Taten daher:
Im grünen Salzstreuer war das Pulver fürn Franz drin, mit Salz vermischt. Und wenns am Abend Reisfleisch gegeben hat oder geröstete Knödel, hat sie seinen Teller gar nicht gewürzt, dass er ordentlich hat nachsalzen müssen.

Der Roman spielt Anfang der 70iger, eingebettet in eine fiktive Landschaft, die man potenziell überall im Voralpenland antreffen kann. Genauso hat Fischer seine Figuren eingebettet in soziale Landschaft, die patriarchale Strukturen nur zu gut kennt. Das nervt manchmal, weil man es zu gut kennt, weil man nicht mehr zurück mag in diese Zeit. Fischer spielt damit. Er zeigt, dass Gaslighting keine Erfindung der Neuzeit ist. Elfi Reisinger ist die, die einen „Huscher“ hat, einen „Zniachtl“ zu Welt bringt und einen „Loam-Lackl“ geheiratet hat. Eine Freude werden dialektaffine Leser*innen bei der Fülle an österreichischen Dialektwörtern empfinden und dem ungewohnten Erzählstil verfallen. Fischer veranstaltet einen Wandertag in die Provinz, in der es vor Abgründen nur so strotzt. Die Bilder, die dabei entstehen, sind genauso, wie es der Autor im Buch beschreibt:
Im Kopf fängt es an. Vorn in der Stirn sitzt es, das Drücken. Und wandert. Alles ist wieder da. Wie eine Mure kommt es herein.
Die Rotte von Marcus Fischer überrollt Lesende wie die oben zitierte Mure: Brutal, gemein und böse. Macht aber nichts, denn von so einer grandiosen Erzählstimme will man bald mehr lesen.
2 Gedanken zu „Spiel der Heugabeln: Marcus Fischers Die Rotte“