Spiegelverkehrt: Kurt Fleischs Aibohphobia

REZENSION Barbara E. Seidl 24. Mai 2022

Es gibt Bücher, die den Leser*innen den Kopf verdrehen. Nicht (nur), dass sie sich beim Lesen verlieben. Vielmehr werden sie so sehr in die Handlung hineingesogen, dass sie am Ende ganz benommen sind. Auch Kurt Fleischs Debütroman Aibohphobia passt in diese Kategorie.

Anhand von kurzen Briefen gibt der Autor Einblicke in die zunehmend verwirrte Psyche des renommierten Psychiaters H., der S. behandelt, einen von multiplen Angstzuständen geplagten Patienten, der unter anderem an Eibohphobie leidet. Unter Eibohphobie, oder Aibohphobia, wird die Angst vor Palindromen verstanden und ironischerweise auch durch ein ebensolches bezeichnet. S. nimmt starke Psychopharmaka, wünscht sich eine Lobotomie und verschanzt sich in einem Bunker. Dies alles erschließt sich jedoch ausschließlich aus den Briefen von Dr. H, der mit fortschreitender Behandlung zunehmend selbst den Verstand verliert und die Grenzen zwischen Arzt und Patienten verschwimmen lässt.

Kurt Fleisch, Aibohphobia, Kremayr & Scheriau, 2022.
176 Seiten; € 20,
Foto © privat; Kurt Fleisch, geboren in Wien, lebt und arbeitet in Wien und Niederösterreich. Studium der Philosophie und Germanistik. Neben der Literatur arbeitet er selbstständig in der IT-Branche, wo er seltsame Algorithmen entwirft, sowie im Bereich des maschinellen Lernens, speziell im Zusammenhang mit sogenannten Deepfakes und Videokunst. http://www.bananenfisch.net

Durch den Kunstgriff, die Geschehnisse ausschließlich aus der Sicht des unzuverlässigen Ich-Erzählers wiederzugeben und dabei dessen desorientierte Wahrnehmung und die daraus resultierenden Ängste zu reflektieren, werden die Leser*innen im Laufe der Lektüre ebenso immer verwirrter. Ähnlich wie das titelgebende Palindrom und die damit bezeichnete Angststörung spiegeln sich die Wahnvorstellungen des Kranken in den Briefen des Arztes und umgekehrt die Überheblichkeit des Psychiaters in der Selbsteinschätzung des Patienten wider, bis zu dem Punkt, an dem niemand mehr sicher sein kann, was echt ist und was wahnhafte Einbildung.

Kurt Fleischs Aibohphobia ist ein sehr ungewöhnlicher Text, in dem Form und Inhalt ein stimmiges Ganzes ergeben. Unterhaltsam, originell und im besten Sinn verrückt, zeichnet sich der Roman durch Wortwitz und intellektuellen Tiefgang aus. Das Spiel mit der Unzuverlässigkeit des Erlebten, das der Autor als Spezialist für Deepfake- Videos auch abseits seines literarischen Schaffens auslebt, wird in Aibohphobia auf die Spitze getrieben. Wer sich beim Lesen gerne mal in einem Irrgarten wahnwitziger Gedankengänge verliert, wird in diesem Buch die ideale Lektüre finden.

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