Foto © Manfred Poor
von Jana Volkmann
Zwanzig Jahre vor meinem ersten Wienbesuch habe ich bereits von der Existenz des Schottentors und von Ottakring gewusst. Schuld war ein Buchgeschenk: »Das Sprachbastelbuch«, ein sensationelles Kinderbuch. In verschiedenen Kindheits- und Jugendphasen habe ich es gelesen, wie andere Bibelexegese betreiben – immer wieder aufs Neue und mit heiligem Ernst (obwohl es sehr lustig ist). Die besten Stellen kenne ich bis heute auswendig, man kann mich in der Nacht aufwecken und ich rezitiere den »Liebesseufzer eines Walfischfräuleins« noch im Halbschlaf, obwohl ich mir kein Gedicht und keinen Liedtext merken kann. Und manche der Schüttelreime sind in meinen aktiven Wortschatz eingegangen. »Es graust vor nichts den Bademeister, in die dickste Made beißt er«: ein Klassiker in der Freibadsaison. Es ist in der Tat ein Bastelbuch, weil die Reime und Gedichte, die kurzen Geschichten und Fabeln unausgesprochen dazu einladen, die Sprache zu färben, zu formen, zurechtzuschneiden und neu zusammenzukleben. Sprache ist hier nicht nur dazu da, um eine Geschichte zu erzählen, wie man sagt: zu transportieren. Das klingt banal, ist es aber nicht.
Jana Volkmann, geboren 1983 in Kassel, lebt als freie Autorin und Journalistin in Wien. Sie studierte in Berlin Europäische Literaturen und arbeitet derzeit an einer Dissertation über Hotels in der Gegenwartsliteratur. Sie schreibt Essays und Literaturkritik u. a. für den Freitag, Tagebuch, neues deutschland und den Standard. Zuletzt erschienen sind. Das Zeichen für Regen. (Roman, 2015) und .Fremde Worte. (Erzählung, 2014) in der Edition Atelier. Mit der Kurzgeschichtensammlung „Schwimmhäute – 26 Metamorphosen“, Edition Periplaneta, hat sie 2012 ihr literarisches Debüt gegeben. Für ihren Roman „Auwald“ erhielt sie den Förderpreis zum Bremer Literaturpreis 2021.