REZENSION Barbara E. Seidl 17. April 2021
In seiner Erzählung Die Schrift, für die er im März dieses Jahres mit dem Clemens-Brentano-Preis ausgezeichnet wurde, schildert Simon Sailer, wie ein Ägyptologe in den Bann einer rätselhaften Schrift gerät und dabei jeden Bezug zur Außenwelt verliert. In der zweiten Novelle seiner Essiggassen-Trilogie, lässt der Autor nun ein mysteriöses Salzfass einen Antiquitätenhändler zur Verzweiflung bringen.
Durch Zufall gerät der junge Händler Maurice nach einer Wohnungsräumung in den Besitz eines Salzfasses – ein schönes Exemplar, das sich eigentlich leicht verkaufen lassen sollte. Dennoch entwickelt es sich zum ungeliebten Ladenhüter. Maurice ist fasziniert und beunruhigt zugleich, denn das Salzfass entwickelt schon bald ein Eigenleben, als in ihm ein seltsames Geflecht zu wuchern beginnt.
Wie bereits Die Schrift handelt auch Das Salzfass von der geheimnisvollen Macht der Dinge, die im Leben der Protagonisten nach und nach die Kontrolle übernehmen. So dreht sich auch bei Maurice bald alles nur mehr um das Salzfass und wie er es endlich loswerden könnte. Doch das Fass lässt sich nicht so leicht unterkriegen und treibt den Antiquitätenhändler schließlich sogar dazu, sich in einer Hütte auf dem Land zu verstecken.

Simon Sailer wurde 1984 in Wien geboren, wo er nach Aufenthalten in Berlin, Prag und Paris wieder lebt. Er studierte Philosophie in Wien und Paris sowie Art and Science an der Universität für Angewandte Kunst Wien. Seit 2017 literarische Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien. 2019 erschien sein Debütroman »Menschenfisch« (Müry-Salzmann), 2020 die Erzählung »Die Schrift« (Edition Atelier), für die er mit dem Clemens-Brentano-Preis 2021 ausgezeichnet wurde. http://www.simonsailer.net/

Simon Sailer, Das Salzfass, Erzählung, Mit Illustrationen von Jorghi Poll, Edition Atelier 2021, 128 Seiten, €18.
Das Antiquitätengeschäft wurde in der Zwischenzeit bereits von einer resoluten Nachfolgerin übernommen, die einem potentiellen Kunden Maurice‘ Geschichte erzählt. Doch der eigentliche Protagonist ist immer noch das Salzfass, das sich dem aufmerksamen Zuhörer scheinbar ganz harmlos und unauffällig präsentiert.
Mit Das Salzfass erweist sich Simon Sailer erneut als großartiger Erzähler. Verschmitzt führt er seine Leser*innen hinter die Kulissen des Antiquitätenladens und offenbart dabei seine Freude am Irrationalen. Es bereitet dem Autor sichtlich Spaß, Gegenstände auf kreative Art und Weise zum Leben zu erwecken und hinterhältige Dinge tun zu lassen, die ihre Besitzer Schritt für Schritt in eine wahnhafte Besessenheit treiben.
Wie bereits Die Schrift wurde auch Das Salzfass durch liebevoll gestaltete Illustrationen von Jorghi Poll ergänzt.
Spannend, unterhaltsam und erzählerisch wie sprachlich ein Genuss ist Das Salzfass eine unbedingte Leseempfehlung.

Barbara E. Seidl ist freie Autorin, Literaturwissenschaftlerin und Trainerin für Deutsch und Englisch als Fremdsprache.
Ein Gedanke zu „Die geheimnisvolle Macht der Dinge: Simon Sailers Das Salzfass“