„SCHLAFES SCHWESTER“ – Die Rezension einer Rezension

Von Irene Diwiak

Der Artikel von Nicole Seifert hat mich dazu inspiriert, eine Rezension aus dem Jahr 2017 auszugraben, die ich für meinen Debütroman „Liebwies“ erhalten habe. Sie stammt von Edwin Baumgartner und erschien unter dem Titel „Schlafes Schwester“ in der „Wiener Zeitung“. 

Zwar gesteht der Kritiker dem Roman zu, eine „eindrucksvolle Talentprobe“ zu sein, hat dann aber nicht allzu viel Gutes darüber zu berichten. Das Buch habe „alle Schwächen, aber auch viel Charme eines Debüts“, ein Charme, dem „ein großer Teil des Feuilletons“ erlag.  
So sind wir jungen Autorinnen nun einmal: Trotz aller (und nicht etwa nur vieler) Schwächen können lediglich die gewieftesten Feuilletonisten unserem Charme widerstehen. Und dieser Kritiker hält sich selbst eindeutig für ziemlich gewieft. Auf mein Slawistikstudium referenzierend hält er fest:

Apropos Gogol: Auf den Vorwurf, in seinem „Revisor“ gäbe es keine einzige sympathische Figur, soll er geantwortet haben, die einzige sympathische Figur sei das Lachen. Es mutet an, als habe sich Irene Diwiak das als Motto erkoren. Bei Gogol geht es auf. Bei ihr nicht.

Ich weiß jetzt nicht, ob Nicole Seifert in ihrem Artikel ebenfalls darauf zu sprechen kommt, aber auch das scheint mir ein recht beliebtes Muster zu sein: Autorin wird mit Autor verglichen, nur um festzustellen, dass der Autor eigentlich alles besser macht. [1]
Nachdem der Kritiker sich (zumindest einigermaßen nachvollziehbar) über die grotesken äußerlichen Erscheinungsbilder der Figuren brüskiert hat, kommt er endlich auf das „größte Problem“ zu sprechen: 

Das größte Problem des Romans indessen ist der Stil. Offenbar gehört Irene Diwiak zu jenen Autorinnen und Autoren, die ihre Sprache nicht natürlich fließen lassen, sondern dem Leser die stilistische Brillanz beweisen wollen. Was zu Unfällen führt, wie: „Vor Glück fast wahnsinnig spielte Köck die restlichen Stücke“, während sich Wagenrads Auto nur mit beträchtlichem „Muskelaufwand“ lenken lässt und Wagenrad Gisela Unterricht in „Notenkunde“ erteilt – was das sein soll, weiß Irene Diwiak allein.

Wenn der Kritiker glaubt, dass die Sprache bei anderen Autorinnen und Autoren nur „natürlich fließt“, muss er literarisches Schreiben für eine sehr einfache Arbeit halten. Was mich aber noch mehr irritiert: Bis heute weiß ich nicht, was genau an den zitierten Sätzen „verunfallt“ sein soll. Der Kritiker hat es mir nicht mitgeteilt. Ich würde diese Sätze genau so wieder schreiben. Und was das Wort „Notenkunde“ bedeuten könnte in einem Buch, das zu einem großen Teil von Musik handelt, kann man sich hoffentlich auch dann vorstellen, wenn man zufällig nicht gerade ich ist. 

„Emma ging in ihrer Kammer auf und ab wie der Panther in Rilkes Gedicht“, schreibt sie an einer anderen Stelle – nur, dass Rilkes Panther nicht in einer Kammer auf und ab geht. Wenigstens wissen wir, dass die Autorin Rilkes meistzitiertes Gedicht kennt.

Und wir wissen jetzt auch, dass der Kritiker das Gedicht noch besser kennt. Um das beweisen zu können, verweigert er von vornherein die Möglichkeit, den Vergleich nur aufs „auf- und abgehen“ zu beziehen.

Und dann: „Sie wechselten zwar kaum ein freundliches Wort, aber trotzdem suchten sie die gegenseitige Nähe.“ Es sind Autoren schon wegen geringerer Sprachvergehen von Verlagen abgewiesen worden als wegen des Zusammenstoßes von „aber“ und „trotzdem“.

Ob das Wort „Autoren“ an dieser Stelle mit Absicht ungegendert bleibt? Auf jeden Fall tut der Kritiker hier implizit die Meinung kund, dass der Verlag den Roman eigentlich hätte ablehnen müssen.[2] Aber vermutlich ist auch die Verlegerin einfach nur meinem Charme erlegen.

Zum Schluss zeigt sich der Kritiker noch einmal einigermaßen versöhnlich, oder zumindest versucht er es:

Dessen ungeachtet, ist Irene Diwiak ein unterhaltsamer Roman gelungen. Käme er mit 250 Seiten aus, wäre er das Richtige für eine Bahnfahrt bei Regen. Die Satire hat Irene Diwiak angestrebt, eine Posse hat sie geliefert. Man kann lachen. Das ist kein geringer Wert.

Kurz gesagt: Hohe Literatur ist es nicht, aber ja, man kann zumindest lachen. Zur Not über die Autorin.

Die Kritik ist wie schon erwähnt bereits 2017 erschienen. Ich habe sie damals gelesen, mich kurz geärgert und sie mehr oder weniger vergessen. Glücklicherweise verfüge ich über eine gewisse Kaltschnäuzigkeit, die mir den „Überlebenskampf“ (Marlene Steeruwitz) im literarischen Feld zumindest psychisch bedeutend erleichtert. Jedoch macht meine persönliche Ignoranz es schwerer, frauenfeindliche Muster überhaupt erst zu erkennen. Und was man nicht erkennt, kann man schwerlich bekämpfen. Erst durch den Artikel von Nicole Seifert habe ich kapiert, dass diese Rezension in der „Wiener Zeitung“ nicht nur eine schlechte Kritik, sondern vor allem eine misogyne Kritik ist, die von „pingeliger Besserwisserei“ (Seifert) bis zum typischen Vorwurf, das Buch hätte gar nicht erst veröffentlicht werden dürfen, alle Stückeln spielt. 
Es geht dabei gar nicht um „Liebwies“. Es geht noch nicht einmal wirklich um mich als Autorin. Es geht um den Kritiker und seine misogyne Grundhaltung. Das zu wissen hilft, mit ärgerlichen Vorwürfen umzugehen – und sie zu kontern, wie ich es in dieser „Rezension der Rezension“ versucht habe. 


[1] Der skurrilste Vergleich dieser Art kam mir übrigens bei einer Ö1-Literatursoiree unter, als eine Kritikerin (ja, ich glaube, es war eine Frau) meinte, Arno Geigers „Unter der Drachenwand“ erzähle doch viel origineller vom Zweiten Weltkrieg als Liebwies. Allerdings handelt nur der Schluss von „Liebwies“ von der Nazizeit, der überwiegende Teil des Romans spielt sich in der Zwischenkriegszeit ab. Und auch sonst haben „Liebwies“ und „Unter der Drachenwand“ so überhaupt keine Ähnlichkeiten, weder inhaltlich noch stilistisch. Es scheint, als hätte die Kritikerin einfach einmal ganz grundsätzlich feststellen wollen, dass Geiger besser schreibt als ich.

[2] Ich würde ja gern wissen, ob tatsächlich schon einmal ein Manuskript wegen einem einzigen Satz abgelehnt wurde, insbesondere wegen „geringerer Sprachvergehen“ als dem Zusammenstoßen von „aber“ und „trotzdem“. Allerdings fällt es mir schon schwer, mir noch geringere Sprachvergehen vorzustellen. 

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