REZENSION Barbara Seidl, 12. Juli 2020

Es gibt Menschen, die uns einfach nicht mehr los lassen wollen, selbst wenn sie eigentlich gar nicht mehr da sind. Hartnäckig geistern sie in unserem Leben herum und verströmen manchmal sogar aus dem Jenseits noch einen Duft aus Zitronen-Orangen Marmelade.
Herr Rudi, der Protagonist in Anna Herzigs gleichnamigem Kurzroman, träumt immer noch von seinem allerbesten Kuss mit Livi – einem Kuss, der nach Zitronen und Orangen geschmeckt hat. Seither sind viele Jahrzehnte vergangen. Livi sitzt ihm mittlerweile als Geist auf der Schulter und zieht ihn damit auf, wie alt er geworden ist.
„Es soll Menschen geben, die balancieren einem die Gehirnwindungen auf zärtlichste Weise aus.“ Für Herrn Rudi wird dieser Mensch immer vor allem seine Jugendliebe Livi sein.
Als der frisch pensionierte Gerichtsvollzieher eine Krebsdiagnose erhält, will er nur noch nach Salzburg, wo er seine schönste Zeit mit Livi verbracht hat. Bis es endlich soweit ist, beruhigt er sich damit, Blaubeeren zu zählen.
Für die Leser*innen ist es schwer, sich nicht in Herrn Rudi zu verlieben. In lebensnahen Dialogen und mit liebevollen Worten zeichnet die Autorin einen charmanten Antihelden, der mit seinem „zärtlich angefutterten Bauch“ ein bisschen an einen schrulligen Nachbarn erinnert und dabei trotzdem noch ein Original bleibt.
So schmerzvoll die Lektüre stellenweise auch sein mag, so zaubert uns der morbide Wiener Schmäh der Novelle beim Lesen immer wieder ein Lächeln ins Gesicht.
„Es gibt Dinge, die schön sind, und Dinge, die wehtun,“ so würde Herr Rudi laut Autorin sein Leben zusammenfassen. Anna Herzig ist mit ihrer bittersüßen Annäherung an das Thema Trauerbewältigung eine Kombination aus beidem gelungen.

Das Buch:

Anna Herzig: Herr Rudi, Voland & Quist 2020, 144 Seiten, 18, 00 €.