Mondmeer und Marguérite

Mit ihrer neuen Lesereihe, Mondmeer und Marguérite, setzen sich Raoul Eisele und Martin Peichl für die Förderung und Vernetzung junger AutorInnen ein. Dabei setzen sie einen Schwerpunkt auf Lyrik.

Warum war es euch so wichtig, den Fokus auf Lyrik zu legen?

R: Es gab mehrere Gründe sich auf Lyrik zu fokussieren. Begonnen hatte es im Oktober 2019, als wir eine Art Generalprobe, ein „Testlesen“ im The Nest hatten, wo eine Lesung mit 5 AutorInnen stattfand, u.a. mit Armela Madreiter, Seda Tunc, Jana Volkmann, Martin und mir. Selten verspürte man eine dermaßen befreiende Ruhe, eine derart wohltuende Stille, die den Texten Raum zum Atmen, Raum sich zu entfalten, gab. Nicht nur, dass an diesem Abend der Startschuss generell für die Lesereihe gelegt war, wurde uns/mir auch klar, welches Entfaltungspotential Texte jeglicher Art, aber besonders lyrische hier bekommen könnten.

Da Martin und mir generell viel an Sprache liegt, war es uns ein Anliegen diesen Raum für unser Vorhaben zu nutzen, da Lyrik im Allgemeinen keine allzu große Reichweite weder in Verlagen noch bei Veranstaltungen bekommt. 

Außerdem war es ein persönlicher Wunsch meinerseits eine Lesereihe mit Fokus auf Lyrik, Sprache und Klang zu etablieren und diese zu fördern, sie erneut ins Denken und Leseverhalten der Menschen zu rücken.

M: Die Genrebezeichnungen „Lyrik“ und „Prosa“ sind meiner Meinung nach auch kritisch zu hinterfragen, auch wenn wir mit diesen „Labels“ arbeiten. Ich denke, dass bei unserer Lesereihe verschiedenste Formen von Text Platz haben, dass wir auch eine Location und einen Rahmen gefunden haben, der dieses Aufheben von Kategorien ermöglicht. 

Eure Lesereihe trägt ja auch einen poetisch anklingenden Titel, Mondmeer und Marguérite. Was steckt hinter dem Namen?

R: Das ist schön gesagt. Du hast recht, auch der Titel birgt schon Poetisches, verbirgt schon die ersten kleinen Anzeichen des lyrischen Fokus. Der Titel hat zwei Seiten, zum einen gilt es hier auf das Mondmeer einzugehen. Die dunklen Flecken des Mondes werden als Mondmeere bezeichnet und sind somit jene Teile, die von der Erde aus gesehen, kein „Licht“ bekommen, im Dunkeln verschwinden. Für uns stand die Sichtbarmachung wenig bekannter AutorInnen im Vordergrund, abseits der Lyrik. Es galt daher jenen Licht zu geben, die noch nicht sichtbar wurden und ihnen eine Alternative zum „klassischen“ Literaturbetrieb zu bieten.

Die Alliteration mit Marguérite hatte zum einen poetisches im Sinn, zum anderen aber auch die Förderung und Sichtbarmachung von Autorinnen, von Frauen. 

M: Die Mondmeere, eigentlich erstarrte Lavaflächen, Depressionen, die durch Einschläge in der Frühphase des Mondes entstanden sind, sind ein schönes Bild für das, was Raoul und ich uns vorgenommen haben. Einerseits haben sich die Menschen immer schon Geschichten zum Mond und zu seinen dunklen Flecken zusammengereimt: Literatur als Erklärung für die Dinge, die uns umgeben, als Mythologie-Maschine. Auf der anderen Seite sind das genau die Texte, die uns interessieren: Texte, die sich nicht immer gleich auf den ersten flüchtigen Blick erschließen, die eine Auseinandersetzung einfordern, ein genaues, zugewandtes Lesen bzw. Zuhören. 

Dass schon die Premiere bis auf den letzten Platz gefüllt war und so viele wundervolle Rückmeldungen auf uns zukamen, war uns unbezahlbar, war die größte Freude, die man uns machen konnte. 

Könnt ihr uns ein bisschen mehr über die ersten beiden Ausgaben eurer Lesereihe erzählen?

R: Kurz hatte ich unser gemeinsames „Testlesen“ letzten Oktober angesprochen, die Generalprobe, die uns erst die Sicherheit gab, diese Lesereihe zu gründen und die damit unfassbare Konzentration, die auf die Texte gelegt wurde. Es war damals schon ein ganz besonderer Termin, eine besondere Stimmung, die in den Jänner und März, den beiden offiziellen Terminen fließend überging. Es war nicht nur textlich ein Genuss auch menschlich war es unglaublich schön zu sehen, wie man hier miteinander umging, wie man Texte zu schätzen lernte und wie man noch mehr Fan von jeder einzelnen Autorin werden konnte. 

Bei der Premiere lasen Esma Ahmedi, Katherina Braschel und Barbara Rieger und wir können uns nur glücklich schätzen, mit solch großartigen Autorinnen zusammenarbeiten zu dürfen.

Dass schon die Premiere bis auf den letzten Platz gefüllt war und so viele wundervolle Rückmeldungen auf uns zukamen, war uns unbezahlbar, war die größte Freude, die man uns machen konnte. 

Auch im März ging es wie schon bei der Premiere weiter. Alle Plätze gefüllt, viele neue Gesichter im Publikum und drei Autorinnen, die den Abend mit Texten füllte und sich von Mal zu Mal an sprachlicher Fülle und Schönheit übertrafen. Im März lasen Katja Grcić, Frieda Paris und Caca Savic. An diesem Termin war natürlich auch die Mehrsprachigkeit und somit die sprachliche Breite durch englische/kroatische und deutsche Texte gegeben und das Schönste war die nahtlose Ergänzung, die die Drei durch ihre Texte schufen.

Im März hatten wir auch unsere erste Buchpräsentation „Teilchenland“ von Caca Savic (Verlagshaus Berlin)[1]

Dies werden wir auch die nächsten Termine fortführen, z.B. mit „Ousia“ von Verena Stauffer (Kookbooks)[2].

M: Wertschätzung ist das Stichwort, das ich gerne aufgreifen würde. Dadurch, dass wir ganz bewusst die Texte in den Mittelpunkt rücken, kommt es auch bei dem einen oder anderen Bier danach meistens zu einer sehr intensiven Auseinandersetzung mit dem Gelesenen. Wir müssen nicht lange erklären, warum wir diese Autorin oder jenen Autor eingeladen haben, das übernehmen ihre Texte. (Dass wir ein super Publikum hatten bei allen drei Terminen, die sich auf das Format und das Gelesene eingelassen haben, die danach noch gefeiert haben mit den Autor*innen und uns, ist natürlich ein schöner Nebeneffekt.)

Im Herbst ist ein Spezialtermin geplant, ein Lesekreis mit dem Titel „Gläserne Texte“. Was darf man sich darunter vorstellen?

R: Der Spezialtermin im Herbst, voraussichtlich Oktober, je nachdem wie es mit der aktuellen Situation weitergeht, wird dem Lesekreis „Gläserne Texte“ gewidmet. Die „Gläsernen Texte“ finden einmal pro Monat in der Buchhandlung zum Gläsernen Dachl statt, wo sich AutorInnen zusammensetzen und über ihre Texte reden. Initiiert wurde dieser Kreis vor knapp drei Jahren von Julius Handl, einem Freund von mir, wo ich ebenfalls bei den ersten Terminen dabei sein durfte. Ich fand es immer richtig schön, wie man hier mit Texten, Feedback und dem gemeinsamen Austausch über Literatur umging, daher war es mir ein Anliegen jenen einen Leseplatz zu geben, die wirklich in ihren Anfängen des Schreibens stecken.

Seit Ende letzten Jahres übernahm den Lesekreis Laura Untner, die diesen nochmals erweiterte und u.a. auch Termine speziell für FLINT*s (Frauen*, Lesben, inter, non-binary und trans* Personen)schuf. Ich finde es wirklich schön und beeindruckend zu sehen, wie der Lesekreis wächst und möchte mit dem Herbsttermin die AutorInnen des Lesekreises unterstützen.

Leider fallen aufgrund der Corona-Virus Pandemie momentan viele Lesungen und Literaturveranstaltungen aus, was vor allem für freie AutorInnen und Kleinverlage sehr schmerzlich ist. Könnt ihr euch für die (nahe) Zukunft auch so etwas wie einen Online-Lesekreis vorstellen?

R: Es ist unglaublich schön mitanzusehen, wie sich der Kunst- und Kulturbetrieb, speziell die Literaturszene zusammenschließt und versucht alles gegen die Isolation und das Untertauchen von literarischer Arbeit zu tun. Beeindruckend ist auch, wie schnell dieser Zusammenhalt kam, wie schnell das Potential gesehen wurde, digital zu handeln. Gerade für das Frühjahrsprogramm und den vielen Büchern, die gerade ihr Erscheinen feiern sollten, ist es wichtig Aufmerksamkeit zu schaffen, ist es wichtig gesehen und gehört zu werden. 

Unser nächster Termin ist Anfang Mai geplant, sollte sich die Corona-Krise länger ziehen, werden wir einen Ersatztermin andenken, ob dieser in digitaler Form stattfinden wird, können wir aktuell aber noch nicht sagen. 

M: Was Corona auch bewusst macht: Wie oft Autor*innen auf sich alleine gestellt sind, wenn es um die Verbreitung bzw. Vermarktung ihrer Texte geht. Zum einen, weil viele kleine und mittelgroße Verlage nicht die Kapazitäten haben. Zum anderen, weil der Platz, den Literatur in Feuilletons etc. bekommt, ein sehr begrenzter ist. Wir dürfen an der Stelle aber auch nicht vergessen, dass viele Autor*innen, die abseits des etablierten „Betriebs“ schreiben, schon immer auf andere Kanäle angewiesen waren, wenn sie mit ihren Texten nach draußen gehen wollten. Es ist eine gute Gelegenheit, die Strukturen des Literaturbetriebes und Literaturmarktes neu zu denken. Eine Chance vielleicht, Sichtbarkeit ein wenig anders zu verteilen. Und wir werden mit der Lesereihe unseren kleinen Beitrag leisten, in welcher Form auch immer, das werden wir dann sehen. 

Martin Peichl,1983 im Waldviertel geboren, lebt und schreibt in Wien. Unterrichtet Deutsch, Englisch und wissenschaftliches Schreiben. Etliche Preise und Auszeichnungen, u.a.: Limburg-Preis, Wiener Literaturstipendium, Hans-Weigel-Literaturstipendium. Er schreibt seit 2015 Texte und Gedichte auf Bierdeckel und organisiert die On-Off-Lesereihe „In einer komplizierten Beziehung mit Österreich in Wien“. Sein Debütroman „Wie man Dinge repariert“ (Edition Atelier 2019) war im Finale des Literaturpreises Alpha, auf der Shortlist des Bloggerpreises „Das Debüt“ und wurde mit der Buchprämie des Bundeskanzleramts ausgezeichnet.

Raoul Eisele, geb. 1991 in Eisenstadt, lebt und schreibt in Wien. Studierte Germanistik und Komparatistik und arbeitet zur Zeit freiberuflich als Dramaturg und Regieassitent an diversen Theaterprojekten mit. Sein Debüt gab er mit dem Lyrikband „morgen glätten wir träume“ (Edition Yara 2017). 2019 erhielt er den Lyrikpreis der Energie-Burgenland, den 2. Preis der Lyrik bei den Lecher Literaturtagen und wurde mit dem 3. Platz des nordhessischen Autorenpreises ausgezeichnet. 2020 ist er Teil der Anthologien „Jahrbuch der Lyrik“ (Schöffling & Co.)und „Junge Literatur Burgenland“ (edition lex liszt 12). 


[1]   https://verlagshaus-berlin.de/programm/teilchenland/

[2]   http://www.verenastauffer.at/wordpresshome/

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