Mit Maria malt hat Kirstin Breitenfellner einen großen Roman über eine große Künstlerin geschrieben.Im Interview spricht die Autorin über ihre Herangehensweise an das Leben und Werk einer der wichtigsten österreichischen Künstlerinnen.
Für die Vorbereitung Ihres Romans haben Sie Einblicke in Maria Lassnigs Tagebücher und Briefe erhalten. Haben diese persönlichen Notizen Ihre Sicht auf die Bilder der Malerin verändert?
Die Lektüre der Tagebücher, die in der Wiener Maria Lassnig Stiftung liegen, haben mein Verständnis der Persönlichkeit Maria Lassnigs nicht verändert, aber vertieft. Ich durfte aber auch Teile des Briefwechsels lesen, wobei ich die Erste war, die den frisch transkribierten, teils noch in Kurrentschrift verfassten Briefwechsel mit ihrer Mutter zur Gänze sichten konnte. Er hat meinen Blick auf die ambivalente Mutter-Tochter-Beziehung tatsächlich verändert. Zu den sadistischen Aspekten von Mathilde Lassnigs Erziehung kam eine zweite, hellere Seite, denn Mathilde hat Maria bis zum Ende ihres Lebens unterstützt – und Maria hat die Abhängigkeit von ihrer Mutter jeder von Männern offenbar vorgezogen.
Anders als bei einer Biografie hat die Autorin eines Romans mehr Freiraum. Wie nahe sind Sie an den belegten Quellen geblieben und wie viel mussten Sie dazu denken?
Ich habe versucht, so nahe wie möglich an den Quellen zu bleiben, das heißt, dass der Großteil der Szenen im Roman auf Überlieferung in Tagebüchern, Briefen, Zeitungsartikeln, Büchern und Interviews beruht. Ich habe sie lediglich versucht mit Leben zu füllen und in Beziehung zu setzen. An wenigen Stellen habe ich Szenen ergänzt, die entweder allgemein menschlicher Natur sind und deswegen leicht vorstellbar, oder Marias Persönlichkeit exemplarisch vorführen, so wie etwa die Szene, in der Maria auf der Straße dem Kunstförderer Monsignore Otto Mauer begegnet und vergeblich versucht, ihre Scheu, sich wichtigen Menschen zu „verkaufen“, zu überwinden.

Kristin Breitenfellner, Maria malt.
Picus Verlag 2022, 464 Seiten, gebundene Ausgabe € 28.
Maria Lassnig hat sich selbst, wie Sie auch im Roman anklingen lassen, gerne „Maler“ und nicht „Malerin“ genannt, weil sie die Bezeichnung „Malerin“ als Herabwürdigung empfand. Trotzdem war ihr Weg zur Anerkennung steiniger als jener ihrer männlichen Kollegen. Was lässt sich anhand von Maria Lassnig über den Umgang mit Frauen im Kunstbetrieb lernen?
Maria Lassnig hat die Bezeichnung Malerin abgelehnt, weil sie sich nicht in die Ecke „Frauenkunst“ – also Kunst von Frauen für Frauen – drängen lassen wollte. Sie wollte Kunst machen, die für alle relevant ist und sich an aller anderen großen Kunst misst.
Als Frau hatte sie es in der Nachkriegszeit schwer, anerkannt zu werden. Leider hat sich im Kunstbetrieb bis heute nur graduell etwas geändert. Die Werke von Frauen werden immer noch oft nicht ernst genommen, sie erzielen niedrigere Preise – zu den zwanzig teuersten zu Lebzeiten der Künstler verkaufen Werken gehört keines von einer Frau –, und sie bekommen, wie Martha Jungwirth oder Margot Pilz, ihre großen Personalen immer noch erst zum oder nach dem 80. Geburtstag oder werden, wie Kiki Kogelnik oder Birgit Jürgenssen, erst posthum richtig gewürdigt.

Kirstin Breitenfellner wurde 1966 in Wien geboren. Studium der Germanistik, Philosophie und Slawistik, Literaturkritikerin, Journalistin und Yogalehrerin. Im Picus Verlag erschienen drei Kinderbücher, zuletzt »Das Geheimnis der Schnee-Eule« (gemeinsam mit Bianca Tschaikner), ebenso ihr Roman »Bevor die Welt unterging« (2017). http://www.kirstinbreitenfellner.at
Was hat Sie an Maria Lassnig am meisten fasziniert?
Mich beeindrucken nach wie vor Maria Lassnigs Durchhaltevermögen und ihre Kompromisslosigkeit. Ohne diese beiden Charaktereigenschaften wäre sie nie von einem unehelichen Kind aus der Kärntner Provinz zu einer großen Künstlerin geworden – zur wichtigsten österreichischen Malerin des 20. Jahrhunderts.
Maria Lassnig pflegte zahlreiche Freundschaften mit Dichterinnen und Dichtern, die Feder bezeichnete sich gerne als Schwester des Pinsels. Wie sehen Sie die Verbindung zwischen Kunst und Literatur?
Maria Lassnig war nicht nur eine an Literatur und gleichermaßen Philosophie interessierte Leserin, sondern auch mit zahlreichen Dichtern und Dichterinnen bekannt und befreundet – von ihrem ehemaligen Lebensgefährten Ossi Wiener über Paul Celan bis zu Friederike Mayröcker oder Peter Handke. Und sie hat von den 1940er bis in die 2010er Jahre Tagebuch geschrieben. Hier erfährt man allerdings weniger über ihr Leben und ihren Alltag als in den Briefen, weil sie eher philosophisch sind. Sie enthalten Betrachtungen über die Kunst, das Leben, das Altern, den Tod, die Kindheit sowie wunderschöne Naturminiaturen. Eine Auswahl davon erschien 2000 bei Dumont unter dem Titel „Die Feder ist die Schwester des Pinsels“.
Der Wieser Verlag hat soeben eine etwas kleinere Sammlung daraus unter dem Titel „Am Fenster klebt noch eine Feder“ herausgegeben, vorausgewählt von der Maria Lassnig Stiftung und zusammengestellt von Peter Handke, der allerdings andere Texte für wichtig befand, als ich es getan hätte. Er konzentriert sich auf die Kindheit, Texte zur Kunst und zu sich selbst. Das Spannungsfeld Frausein und Kunstschaffen scheint ihn – wenig überraschend – nicht sehr zu interessieren.
Maria Lassnig hat manchmal überlegt, ob sie nicht Schriftstellerin werden sollte, sich dann aber bewusst dagegen entschieden, weil es, wie sie einmal festhielt, nicht genug Wörter gebe. Die Farben stünden ihr hingegen alle zur Verfügung, weil sie sie aus den Grundfarben beliebig mischen könne. Dem würde ich als Autorin natürlich widersprechen, denn es gibt zwar eine begrenzte Zahl von Wörtern, man kann aber auch diese unendlich „mischen“ …
In einem Interview mit Hans Ulrich Obrist von 1999 erzählt die damals 80-jährige Maria Lassnig, dass sie begonnen habe, Erinnerungen an ihre Großmutter und Urgroßmutter aufzuschreiben. Über ihre Mutter könne sie nicht schreiben. „Das Verhältnis zu ihr war so emotional behaftet, dass man Literatur daraus machen müsste. Und das wäre dann keine Beschreibung mehr. Die Beschreibung würde zum Opfer der Literatur werden.“ Das habe ich sozusagen als Auftrag genommen, mich ihr – und der Beziehung zu ihrer Mutter – in Romanform zu nähern.
Hans Ulrich Obrist: Interviews mit Maria Lassnig. „Man muss einsteigen in die Malerei mit beiden Füßen“. Hg von Hans Ulrich Obrist, Peter Pakesch & Hans Werner Poschauko für die Maria Lassnig Stiftung. Beitr. von Hans Ulrich Obrist, Maria Lassnig & Kirstin Breitenfellner. Deutsch/Englisch, 161 (147 farb.) Abb. Verlag Walther und Franz König, Köln 2022, 204 S., € 30,70
Hans Ulrich Obrist (Hg.): Maria Lassnig. Die Feder ist die Schwester des Pinsels. Tagebücher 1943 bis 1997. Dumont, Köln 2000, 199 S. (nur noch antiquarisch erhältlich).
Maria Lassnig: Am Fenster klebt noch eine Feder. Hg. von Peter Handke, Barbara Maier und Lojze Wieser. Wieser Verlag, Klagenfurt 2023, 120 S., € 25,–