Sorgsam: Alina Lindermuths Fremde Federn

REZENSION Katharina Peham 06. März 2023

Tom ist Anfang 30, als er wegen eines Jobs beschließt, zu seiner Großmutter zu ziehen. Es entpuppt sich als eine generationsübergreifende WG, in der es um Care-Arbeit, Liebe und Hühner geht. 

Rosmarie wohnt in einer Stadt, in der Tom als gelernter Koch ein Jobangebot bekommt – er soll neue Produkte kreieren, in denen Mehlwürmer verarbeitet sind. Mangels Wohnalternativen zieht Tom zu seiner Großmutter und erfüllt ihr den langgehegten Wunsch eines Hühnerstalls. Bald ziehen die Hühner Kos, Kastro und Koukounaries ein und Rosmarie erfreut sich sehr dran. Nach einem Sturz der alten Dame wird schnell klar, dass Rosmarie an Demenz leidet und diese schnell voranschreitet: 

Obwohl Rosmaries Präsenz immer unauffällig und bedacht war, spürte er ihre Abwesenheit überproportional. Als wäre sie bis vor einer Woche mehrere Körper gewesen, die sich in verschiedenen Räumen gleichzeitig aufgehalten hatten. 

Alina Lindermuth, Fremde Federn, Hardcover mit Schutzumschlag / 256 Seiten, Kremayr & Scheriau 2023, 24,00 €

Mit dem Umzug wird Tom schnell klar, dass er sein Leben nicht mehr so unter Kontrolle hat, wie er sich das wünschen würde – angefangen von der ungeklärten Beziehung zu seiner Freundin Eva, bis hin zu seiner Freizeit, die er aufgrund seiner Führungsposition für das kleine Team aufgeben muss.

Schließlich verliert Tom komplett den Überblick, als seine Oma 24-Stunden Betreuung braucht und sein Gefühlsleben ins Chaos stürzt, als er sich in die Pflegerin Kata verliebt.  

Fremde Federn von Alina Lindermuth präsentiert sich als perfektes Erzählmoment für die zwei Professionen, die die Autorin innehat: Als gelernte Volkswirtin beschäftigt sie sich intensiv mit dem Thema Ernährung der Zukunft und macht keinen Halt davor, Insekten als zukünftiges Lebensmittel vorzustellen. Zeitgleich nimmt sie sich dem Thema Care-Arbeit als Generationenfrage an. Was davon im Buch bleibt: Eine sehr gelungene Mischung sanfter und klarer Erzählsprache, die beide Themen so ineinander verwebt, als hätten sie nie anders gedacht werden können:

Allmählich bauten Rosmarie und Kata eine Beziehung auf, in die Tom keinen Einblick mehr hatte. Das schien ihm wichtig zu sein. Doch gleichzeitig hatte er das Gefühl, es sich zu leicht gemacht zu haben. Nur um sofort als Zuseher in der ersten Reihe beim Ringen der großen Argumente seinem Inneren zu werden: Es war ein ebenbürtiger Kampf zwischen „Du kümmerst dich zu wenig“ und „Wie soll ich das alles mit meinem Leben vereinbaren?“

© Mercan Falter

Foto: Mercan Falter | Alina Lindermuth, 1992 in Villach geboren. Nach dem Schulabschluss ging sie nach Indien, im Anschluss folgten Studien der Südasienkunde, BWL und VWL in Wien und Singapur. Ihre Kurzgeschichte „Zum Schreien“ wurde 2010 mit dem Bachmann Jugendliteraturpreis ausgezeichnet. 2020 erschien ihr Debütroman „Die Wahrscheinlichkeit des Zufalls“ (Text/Rahmen Verlag). 2022 war sie Writer-in-Residence in Sri Lanka, Stipendiatin der Werkstatt für junge Literatur und erhielt den Sonderpreis des Wiener Werkstattpreises.   

Großartig ist, wie Lindermuth nie die Frage aufkommen lässt, ob die männliche Figur Tom einen großen Teil der Pflegearbeit übernimmt. Das Buch dient somit als Gegenvorlage der realen Welt, in der ein Großteil der Care-Arbeit von Frauen übernommen wird. Lesende dieses Buches wissen durch die genaue Ausführung sehr wohl, dass dies ein Schicksal ist, das auch sie bald treffen könnte. 

Lindermuth zeichnet die Figuren auf den 256 Seiten akkurat und liebevoll, das Leben mit Demenz ist hier keineswegs unter- noch übertrieben. Empathie und Einfühlungsvermögen werden bei den Leser:innen gekonnt hervorgerufen, wenngleich sich der eine oder andere Ekelmoment mit dem Mehlwurmturm einstellt, den Tom in seinem Schlafzimmer stehen hat. 

Optisch begeistert das Buch in schönen sanften Farben, ein verwaschenes taubenblau mit blassrosa Blüten auf dem Schutzumschlag, sowie eine Doppelung des Fotos von Inna Lobacheva auf dem Cover samt passendem Lesebändchen. Ein kleines Manko ist allerdings die vom Verlag gewählte kleine Schriftgröße der Hardcover-Ausgabe, die nicht geeignet ist für ein älteres Lesepublikum, das das Buch allerdings thematisch interessieren könnte. 

Leicht wie eine Feder kommt dagegen die Sprache Lindermuths daher: Fein austariert und gewählt, mit Humor erzählt und nahbar. Thematisch neu ist das Thema der 24-Stunden-Pflege aus Osteuropa. 

Lindermuth schmückt sich mit Fremde Federn, und das ist in diesem Fall auch gut so.  

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