Schreibende Frauen: Gedanken zum Weltfrauentag

Barbara E. Seidl 08.März 2023

Ganze vierundneunzig Jahre ist es her, seit Virginia Woolf in ihrem vielzitierten Essay A Room of One’s Own ein eigenes Zimmer zur Grundbedingung machte, um es Frauen zu ermöglichen, „große Literatur“ zu schreiben. Mittlerweile, rund ein Jahrhundert später, wissen wir, dass Frauen sehr wohl auch ohne eigenes Zimmer große Literatur schaffen können, ja es gelingt ihnen sogar trotz eines Vollzeitjobs, in einem Haus voll schreiender Kinder und neben der Betreuung pflegebedürftiger Angehöriger.

All diese Dinge sollten freilich nicht so in die Öffentlichkeit getragen werden, denn in den Köpfen vieler Leserinnen ist eine Schriftstellerin oder auch ein Schriftsteller noch immer eine mehr oder weniger finanziell abgesicherte Person mit bescheidenen Ansprüchen, die in schmuddeligen Kaffeehäusern in von Leder umhüllte Notizhefte schreibt.

Auch diverse Stipendienanbieter scheinen diese romantisierte Vorstellung zu haben, denn die Unterstützung wird oft in Form von mehrmonatigen Aufenthaltsstipendien angeboten, für die sich nur bewerben kann, wer sonst keine Verpflichtungen hat. Partner*innen und Kinder sind dabei meistens unerwünscht, vor allem letztere könnten ja den Schreibfluss der Kolleg*innenschaft stören.

Trotz zahlreicher Hindernisse, die Virginia Woolf noch unüberwindbar schienen, haben es dennoch viele Autorinnen geschafft, „große Literatur“ zu schreiben, doch viele von ihnen mussten feststellen, dass sie nicht immer mit dem gleichen Maß gemessen werden wie ihre männlichen Kollegen. So werden die Werke von Frauen gerne als „banal“ oder „trivial“ abgetan oder erst gar nicht von der Kritik besprochen.

In Frauen Literatur führt uns Nicole Seifert frauenfeindliche Strukturen im Literaturbetrieb deutlich vor Augen und auch unsere Aktion Warum wir darüber reden müssen hat gezeigt, mit welchen Barrieren Schriftstellerinnen nach wie vor zu kämpfen haben. So werden Autorinnen im besten Fall mit männlichen Kollegen gemessen, denn der Kanon besteht in den Köpfen vieler Kritiker immer noch vorwiegend aus männlich gelesenen Autoren, was sich auch in den Leselisten an Schulen und Universitäten niederschlägt. In Zeitungen hingegen vermitteln die übergroßen Fotos junger Autorinnen mitunter den Eindruck, das Aussehen der schreibenden Frauen wäre wichtiger als ihr Werk.

Warum also tun Frauen sich so etwas an? In Schreibtisch mit Aussicht hat Ilka Piepgras Schriftstellerinnen eingeladen über das Glück des Schreibens und dessen Preis zu erzählen – das Ergebnis ist so vielfältig wie die Autorinnen selbst.

Im Jahr 2023 träumen Schriftstellerinnen also weiter von einem eigenen Zimmer und einem Grundeinkommen, das es ihnen ermöglicht, sich ganz ihrem literarischen Schaffen zu widmen. Die Tatsache, dass sie auch unabhängig davon große Literatur schreiben können, sollte mittlerweile aber als selbstverständlich gelten.


Virgina Woolf, A Room of One’s Own. Hogarth Press (First Edition), 1929.

Nicole Seifert, Frauen Literatur. Kiepenheuer und Witsch, 2021.

Ilka Piepgras, Schreibtisch mit Aussicht. Kein und Aber, 2020.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s