In andere Welten eintauchen: Jol Rosenbergs Das Geflecht an der Grenze

REZENSION Katharina Peham 2. Februar 2023

Die junge Jägerin Danyla ist für die Nahrungsbeschaffung ihrer Gemeinschaft der Surai in Vataren zuständig. Als sie sich auf Jagd begibt und mit ihrem Bandsinn ein Lebewesen wahrnimmt, schießt sie auf dieses mit einem Pfeil und begegnet so Pako, einem Terraner. Mit dieser Begegnung ändert sich alles auf Beta3 bzw. Rusal, wie der Planet bei den Einheimischen genannt wird. Pako deMorwa ist bereits schwer verletzt von einem Absturz mit seinem Gleiter und so beschließt Danyla, ihn mit in das Dorf zu nehmen. Dort erklärt ihr Rakata, die wichtigste Person ihres Stammes, dass sie für ihn nun verantwortlich ist. Als Pako, der sich aus Sukg ausgibt, genesen ist, begeben sich Danyla und er auf eine weite Reise nach Eldewan. Eldewan ist jene Stadt, die von den Terranern besiedelt wurde, um Energie aus dem Berg des Planeten zu ziehen und somit den ganzen Planeten für immer zu zerstören. Auf ihrer Reise begegnen sie einer weiteren Rasse, mit denen die Surai schon einmal in Krieg gestanden haben: Die Kalok. Die felligen Wesen wollen den Wahnsinn auf ihrem Planeten beenden. Pako und Danyla wissen nun nicht mehr, auf welcher Seite sie stehen und ob sie sich gegenseitig vertrauen können…

Jol Rosenberg, Das Geflecht an der Grenze. OhneOhren Verlag, 2022, 520 Seiten. TB € 15,99. Auch als E-book erhältlich.

Jol Rosenberg landete 1976 auf dem Planeten Erde – in der Hauptstadt eines kleinen eingezäunten Landes, in dem exotistische Träume von fernen Welten sich großer Beliebtheit erfreuten.

Jol wandte sich innerem Wachstum zu, studierte Psychologie und wurde Psychotherapeutx. Heute begleitet Jol in der eigenen Praxis reale Menschen und sucht mit ihnen individuell lebbare Wege. Am heimischen Schreibtisch folgt Jol fiktiven Menschen in fantastische Welten, die einen Hauch Utopie in sich tragen. „Das Geflecht. An der Grenze“ ist Jols Romandebüt. Eine Übersicht über andere Projekte (Kurzgeschichten und eine Romandilogie, die 2023 bei Plan9 erscheinen wird), sowie Jols Buchblog mit Schwerpunkt deutsche SF finden sich auf der Webseite

Jol Rosenberg bietet mit dem Science-Fiction Roman Das Geflecht an der Grenze ein beliebtes, bekanntes Sammelsurium an Themen an: Natur versus Technik, Liebe zwischen verschiedenen Völkern, Krieg versus Frieden, alte, mystische Zeiten versus das Gebot der Stunde. Der Einstieg lässt Großes erhoffen: Eine Jägerin (kein Jäger!) begegnet einer anderen Rasse und führt diesen zu einem Stamm, der matriarchalisch geführt wird und wo Liebesbeziehungen abseits des Heteronormativen möglich sind. Ab diesem Zeitpunkt wird das Lesen allerdings etwas langatmig: Der Plot hält nur wenige Überraschungen bereit, den Lesenden ist spätestens nach dem wiederholten Perspektivenwechsel klar, wohin die Fäden verlaufen und wie sie am Ende zusammengeknüpft werden. 

Am positivsten fallen die Figuren Kiral und Raswin auf, sie sind vielschichtig gezeichnet, die Entscheidung, ob die beiden auf der einen oder anderen Seite stehen, wird hinausgezögert, da sie jeweils einer anderen Gruppe angehören und sich daher weder auf die Seite der Terraner, noch die der Surai schlagen müssen. Der Bandsinn ist eine angenehme Komponente, die zwar an Avatar erinnert, aber eine gute Möglichkeit bietet, Emotionen und Absichten zu vermitteln. 

Bedauerlicherweise befinden sich die Inhaltshinweise (Content Notes) auf der letzten Seite und nicht vorne im Buch. Sensible Leser*innen und ihren individuellen Bedürfnissen wäre mehr geholfen, sie vorab im Buch zu haben anstelle der Warnung zu Pako im Vorwort.

Besonders die Themen „Sexismus“ und „Misogynie“ nehmen einen großen Raum im Roman ein. Auch wenn durch Jol Rosenberg vor allem bei den Nebencharakteren sexuelle Diversität in die Handlung eingewoben wurde, wird Misogynie und Sexismus eindimensional dargestellt. Frauen werden wiederholt sexualisiert und immer nur mit ihren Geschlechtsmerkmalen bzw. über ihren Hintern von zwei männlichen Charakteren beschrieben. Sex wird hier zum großen Teil als Mittel zur männlichen Lustgewinnung beschrieben.  Vor allem für weiblich gelesene Leser*innen dürfte dies ein Ärgernis sein, das sprachlich mehrfach wiederholt wird und zweckfrei für die Handlung ist. Dass sich Misogynie strukturell zeigt und tief mit Benachteiligung von Frauen verbunden ist, scheint im Roman sehr wenig auf. Die Instrumentalisierung zweier wichtiger Frauencharaktere wird viel nebensächlicher gestaltet als die Denunzierung von weiblich gelesenen Personen auf ihre Körperlichkeit.

Auch sonst bedient man sich althergebrachter Klischees: Die junge Wilde, die naiv ist und der man(n) die Welt erklären muss. Sie ist häufig nackt und natürlich ein Sexualobjekt. Ein Forscher, der nie Fehler begeht und natürlich auch Waffen toll findet. Die felligen Kalok, die zunächst unterschätzt werden (man kann dabei nur an Chewbacca denken) und sich dann als intelligente Rasse herausstellen. Einen machthungrigen Manager, der sich mit seiner Firma Cybernetics sogar die Frau seiner Träume baut und seinen Untergebenen ein Kontrollorgan in den Kopf einpflanzt (erinnert doch sehr an Elon Musks Firma Neuralink). 

Science-Fiction Romane begeistern Lesende häufig damit, in neue Welten eintauchen zu können, neue Erfindungen und Lebenskonzepte einatmen zu können. Thematisch hätte sich für diesen Science-Fiction Roman so viel möglich angeboten, dies umzusetzen: Die Diversity zwischen den einzelnen Bevölkerungsgruppen und auch in der jeweiligen Gemeinschaft, ein Ökosystem, das mehr Beachtung verdient hätte, Technik mehr als Freund denn Feind, besonders der Kommunikator (ein Gerät dass alle Sprachen versteht) hätte als Verständigungsinstrument der einzelnen Gruppen mehr Beachtung verdient oder die besondere Heilkunst der Kalok, die sich faszinierend lesen.

Dass Jol Rosenberg einen deutschsprachigen Science-Fiction Roman als Debütroman vorlegt, soll dennoch nicht vergessen werden.

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