Feinfühlig: Iris Blauensteiners Atemhaut

REZENSION Barbara E. Seidl 16. Juli 2022

Die Welt um uns ist ständigen Veränderungen ausgesetzt. Dabei wird automatisiert und optimiert. Wer nicht mithalten kann, bleibt auf der Strecke.

In ihrem neuen Roman Atemhaut lässt uns die Wiener Autorin und Filmemacherin Iris Blauensteiner am Innenleben eines jungen Mannes teilhaben, der sich stark über körperliche Arbeit definiert. Umso schlimmer trifft es Edin, als er seinen Job bei einem Logistikunternehmen verliert, weil er sein Arbeitspensum nicht mehr im gewünschten Tempo bewältigen kann.

Einfühlsam beschreibt die Autorin Edins Empfindungen anhand seiner sensitiven Wahrnehmungen, so etwa auch wie er mithilfe von Computerspielen unterdrückte Emotionen auslebt.

Geschrieben ist Atemhaut in der Du-Perspektive, ein Kunstgriff, durch den die Lesenden direkt angesprochen werden, der aber auch, wie die Autorin betont, Edins Eigenwahrnehmung im Sinne eines Dialogs mit sich selbst zum Ausdruck bringt.

Iris Blauensteiner, geboren 1986 in Wien. Autorin und Filmemacherin. Diplome der Bildenden Kunst und der Theater-, Film- und Medienwissenschaft. Startstipendium für Literatur des bmkös 2021, Preis des Drehbuchwettbewerbs If she can see it, she can be it des Drehbuchforum Wien 2019, Award beim Alternative Film/Video Festival Belgrade 2018, Förderungspreis für Literatur der Stadt Wien 2018, Pixel, Bytes & Film – Artist-in-Residence ORF III & Arte Creative 2017 und Aufenthaltsstipendium am Literarischen Colloquium Berlin 2017. Der Roman Kopfzecke erschien 2016 bei Kremayr & Scheriau. Foto © MarisaVranješ
Iris Blauensteiner, Atemhaut, Kremayr & Scheriau 2022, 160 Seiten, € 20.

Atemhaut regt zum Nachdenken an. Zum einen über den Raum, den Maschinen in unserem Leben einnehmen und die Möglichkeit, die sich daraus ergeben. Zum anderen führt der Roman aber auch die Dringlichkeit vor Augen, sich wieder mehr auf sich selbst zu besinnen, auf die eigene Wahrnehmung und die Reaktionen des Körpers zu achten.

Abgerundet wird Iris Blauensteiners Roman durch einen von Rojin Sharafi komponierten Soundtrack, der den Beschreibungen körperlicher Erfahrungen metallische Klänge gegenüberstellt. Der Soundtrack ist über QR-Codes im Buch abrufbar. Darüber hinaus treten die beiden Künstlerinnen auch bei Lesungen in Form von Literatur/Sound Performances auf.

Atemhaut ist ein sehr gelungenes multisensorisches Buch, dessen ungewöhnlicher und feinfühliger Ton auf leicht zugängliche Weise in hohe literarische Sphären entführt.

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