Vom Erinnern und Verschwinden: Sabine Schönfellners Draußen ist weit

REZENSION Barbara E. Seidl 5. Dezember 2021

Die Einsamkeit ist nicht erst in den letzten zwei Jahren für viele Menschen zu einer ständigen Begleiterin geworden. Vor allem ältere Leute haben oft niemanden mehr, mit dem sie Erinnerungen teilen können, dem auffallen würde, was sie verschweigen.

In Sabine Schönfellners Debütroman Draußen ist weit möchte die namenlose Erzählerin dieser jemand zu sein, dem die drei älteren Leute um die sie sich kümmert, ihre Geschichten erzählen können. Herr Dober, den sie im Seniorenheim besucht, bei dem die Erinnerung die Grenze zwischen Gegenwart und Vergangenheit verschwinden lässt und den es immerzu in den Wald zieht. Frau Leitner, die sehr viel redet und scheinbar nach Spuren aus der Vergangenheit sucht, dann aber einzelne Details doch lieber im Dunkeln lässt. Frau Vessely, die sich mit der Erzählerin auf eine letzte große Reise macht, dabei aber nur sehr wenig von sich preisgibt. Und schließlich ist da die Erzählerin selbst, die das Schicksal der drei Senioren, für die sie sich auf unerklärliche Weise verantwortlich fühlt, zu rekonstruieren sucht, aber nichts über sich selbst erzählt.

Sabine Schönfellner, geboren 1987, studierte Vergleichende Literaturwissenschaft, Skandinavistik und Deutsch als Fremdsprache, anschließend Promotion in Germanistik. Organisiert und leitet Schreibwerkstätten in Graz und Wien. Retzhof-Preis für junge Literatur 2017, Stipendiatin der Schreibwerkstatt der Jürgen- Ponto-Stiftung 2018, Wiener Literatur Stipendium 2019, exil-Literaturpreis für Autor*innen mit Deutsch als Erstsprache 2020. Draußen ist weit ist ihr Debütroman.

Sabine Schönfellner, Draußen ist weit
Literaturverlag Droschl, Graz 2021. 
176 Seiten, 20,00 EUR.

Die sich selbst zurücknehmende Haltung der Erzählerin geht mit der allgegenwärtigen Thematik des Verschwindens einher, denn so wie die von ihr betreuten Senioren, scheint auch die namenlose Erzählerin sich danach zu sehnen, ihrer Gegenwart zu entfliehen.

Sabine Schönfellner nimmt in ihrem beeindruckenden Romandebüt jedoch nur scheinbar eine distanzierte Erzählperspektive ein. Im Nebel des Unbestimmten, im Uneindeutigen zwischen objektiver Wiederhabe bruchstückhafter Erinnerungen und dem Versuch die Lücken des Ungesagten zu rekonstruieren, offenbart sich ein großes Maß an Einfühlsamkeit. Groß ist dabei auch die Liebe zum Detail. Gleich, ob es sich um Herrn Dobers schmutzige Schuhe, Keksbrösel auf Frau Leitners Landkarte, oder die Farbe von Frau Vesselys Tabletten handelt, es sind die Kleinigkeiten, die die Leser:innen am Beobachteten teilhaben lassen. So schafft die Autorin auf relativ wenigen Seiten ein sehr eindringliches, berührendes Bild. Ein Roman der sowohl auf inhaltlicher als auch auf sprachlicher Ebene einen nachhaltigen Eindruck hinterlässt.

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