PODCAST und REZENSION Barbara E. Seidl 9. Dezember 2021
Etwa eine halbe Autostunde südlich von Wien, am Talausgang des Triestingtals, liegt Hirtenberg, eine Marktgemeinde mit heute knapp zweieinhalbtausend Einwohner:innen. Was nur wenigen bekannt sein wird, ist, dass Hirtenberg seit über 150 Jahren ein wichtiger Standpunkt der Europäischen Rüstungsindustrie ist. Als wichtigster Munitionslieferant der Nationalsozialisten wurden hier während des Zweiten Weltkriegs bis zu einer Million Patronen pro Tag hergestellt. Im September 1944 wurde hier auch das sogenannte Weinberglager errichtet, ein Außenlager des Konzentrationslagers Mauthausen, in dem fast vierhundert Frauen inhaftiert waren, die zur Mithilfe bei der Produktion gezwungen wurden.
Didi Drobna hat den Patronenfrauen von Hirtenberg in ihrem neuen Roman Was bei uns bleibt (Piper Verlag, 2021) nun ein literarisches Denkmal gesetzt.
Aus der Sicht von Klara, einer vierundachtzigjährigen Frau, die während des Kriegs als „Patronenfrau“ für die Arbeit in der Munitionsfabrik angeworben worden war, rollt sie die Geschehnisse von damals noch mal auf und führt dabei auf sehr einfühlsame Weise vor Augen, wie erlebte Traumata von Generation zu Generation weiterwirken und wie schwer es ist, das Erlebte aufzuarbeiten. Erst kurz vor ihrem Tod kann Klara das Schweigen brechen.
Gerade einmal achtzehn Jahre war Klara alt gewesen, als sie nach Hirtenberg kam, froh in dieser schwierigen Zeit eine Arbeit gefunden zu haben. Das NS-Regime beginnt Klara erst zu hinterfragen, als sogenannte „Schutzhäftlinge“ aus dem Außenlager von Mauthausen zu ihnen stoßen und sie das Elend dieser Frauen und die Brutalität der Aufseher:innen hautnah miterlebt.
Selbst wenn sie die grausamsten Szenen beschreibt, behält Didi Drobna ihre objektive Perspektive, lässt ihre Leser:innen durch die Augen der Protagonistin beobachten und sich ein Urteil bilden. Auch wenn der Alltag zu jener Zeit heute nur noch schwer vorstellbar ist, schafft es die Autorin, ein detailreich recherchiertes, differenziertes Bild zu vermitteln, das die Lebensumstände der Frauen anschaulich darstellt. Anstatt anzuklagen, wählt Didi Drobna einen versöhnlichen Ansatz, der vor allem einer des Zuhörens ist. Ein Roman, der daran erinnert, dass es nicht nur wichtig ist, sich mit der eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen, sondern auch die Notwenigkeit aufzeigt, über die Folgen zu sprechen, die bei uns geblieben sind.

Im Podcast-Interview für Das Litrophon erzählt die Autorin, wie sie auf die Geschichte von Hirtenberg stieß, auf welche Quellen sie zurückgreifen konnte und welche Zeitzeug:innenberichte sie am meisten beeindruckt haben.
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Über das Buch:

Didi Drobna, Was bei uns bleibt. Piper Verlag, 2021, 256 Seiten, €20,95.