Erinnern ist meist nicht so einfach und glatt, wie wir uns das wünschen

In ihrem Debütroman erzählt Sabine Schönfellner mit viel Empathie von Träumen und Sehnsüchten in einem Seniorenheim. Im Interview spricht die Autorin darüber, was sie zu den Themen Altern und Vergessen geführt hat und was es mit falschen Erinnerungen auf sich hat.

Haben Sie ein gutes Gedächtnis? 

Das kann ich nicht beurteilen. Ich weiß nur, dass ich gern beobachte und an Details hängenbleibe, die mich beschäftigen – dass jemand „scheinbar“ sagt und „anscheinend“ meint, oder dass die Weihnachtsbeleuchtung schon um sechs Uhr Früh blinkt – und die im Schreiben dann wieder auftauchen.

In Ihrem Debütroman Draußen ist weit geht es einerseits um das Erinnern, andererseits aber auch um das (Ver)schweigen. Gibt es einen Zusammenhang zwischen diesen beiden Themen?

Erinnern ist meist nicht so einfach und glatt, wie wir uns das wünschen (das hat auch die Forschung in den letzten Jahren gezeigt, siehe etwa Julia Shaws Buch „The Memory Illusion“ über falsche bzw. falsch erzeugte Erinnerungen). Und wenn man genau hinhört, fällt einem auf, was Menschen unter den Tisch fallen lassen oder überdecken wollen durch das, was sie als Erinnerung wiedergeben – verschweigen ist da noch die harmloseste Variante.

Sabine Schönfellner, Draußen ist weit, Literaturverlag Droschl 2021,
176 Seiten, €20

Wird Ihrer Meinung nach zu viel verschwiegen?

Allgemein ist das schwer zu beantworten, es kommt wohl auf das Thema an – wenn etwas verschwiegen wird, hängt das meiner Beobachtung nach damit zusammen, dass es Themen gibt, über die „man nicht spricht“ und/oder für die die Schweigenden keine Sprache haben: Wenn etwa jemand gelernt hat, dass sie sich nicht beklagen darf über sogenannte Frauenprobleme, wie soll sie dann über das Ziehen und Drücken in ihrem Unterleib sprechen, das dennoch da ist?

Gab es etwas, was Sie zur Entstehung des Romans inspiriert hat?

So genau kann ich das nicht benennen, die Geschichte hat sich für mich aus Erlebtem, Erinnertem und Recherchen zu Themen wie Altern und Vergessen verdichtet. An einem Tisch, über dem zum Schutz der schönen Tischdecke eine Plastikdecke liegt, bin ich als Kind oft gesessen, und Gespräche, in denen man durch die Jahre fällt (und plötzlich bei einer Uni-Abschlussprüfung im Keller im April 1945 ist), habe ich mit älteren Personen immer wieder geführt.

Ein weiteres Thema von Draußen ist weit ist Einsamkeit. Alleinsein ist gerade momentan etwas, was sehr viele Leute bedrückt. Was könnte man tun, um der Vereinsamung, vor allem älterer Leute, entgegenzuwirken?

Da müsste man Psycholog*innen, Ärzt*innen, Altenbetreuer*innen, Pfleger*innen fragen, die sind besser qualifiziert als ich, um das zu entscheiden. Aber man müsste sie nicht nur fragen, sondern ihnen auch Geld und Zeit geben, um dann konkret etwas zu tun.


Sabine Schönfellner, geboren 1987, studierte Vergleichende Literaturwissenschaft, Skandinavistik und Deutsch als Fremdsprache, anschließend Promotion in Germanistik. Organisiert und leitet Schreibwerkstätten in Graz und Wien. Retzhof-Preis für junge Literatur 2017, Stipendiatin der Schreibwerkstatt der Jürgen- Ponto-Stiftung 2018, Wiener Literatur Stipendium 2019, exil-Literaturpreis für Autor*innen mit Deutsch als Erstsprache 2020. Draußen ist weit ist ihr Debütroman.

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