Menschen und Monster: Stephan Roiss‘ Triceratops

REZENSION Barbara E. Seidl, 11. September 2020

Barbara E. Seidl ist freie Autorin, Literaturwissenschaftlerin und Trainerin für Deutsch und Englisch als Fremdsprache.

Wer hat sich nicht schon einmal ein wenig gefangen gefühlt, eingeengt von Verpflichtungen gegenüber der Familie, Partnern, Freunden? Manchen gelingt es leichter, diese unsichtbaren Bänder, die erwartungsvoll an einem ziehen, zu ignorieren oder gar durchzuschneiden. Bittere Enttäuschungen, schlechte Freunde, Rabenkinder werden diese Menschen oft genannt. Doch was ist, wenn die Erwartungen die eigenen Kräfte übersteigen?

Der Erzähler in Stephan Roiss‘ Triceratops ist zu Beginn des Romans gerade einmal im Volkschulalter, trotzdem trägt er die Verantwortung für seine psychisch kranke Mutter tagsüber alleine. Seinen Namen erfahren wir nicht, von sich selbst spricht er als Wir. Angesichts des Mangels an persönlichem Freiraum und der eigeschränkten Entfaltungsmöglichkeiten des Jungen, ist dieses Wir nicht weiter verwunderlich. Ist die Mutter nicht gerade in einer geschlossenen Anstalt, stellt sie an den Sohn allerhand Erwartungen, die dieser nicht immer erfüllen kann und mit der Zeit auch immer weniger erfüllen will. Während der Vater sich an seinem Glauben und der Fernbedienung festhält, sucht die große Schwester unentwegt Dinge zu ordnen, bis ihr Kontrollwahn schließlich in einer Tragödie endet. Was bleibt sind die Monster, die der Junge in seine Schulhefte malt. Denn auch unter Gleichaltrigen bleibt er weitgehend alleine. Ob er es dennoch irgendwie schafft, eine dicke Haut zu entwickeln, wie sein Lieblingstier, der Triceratops?

Triceratops, ist optisch ein ausgesprochen schönes Buch, jedoch keine leichte Lektüre. In fragmentartigen kurzen Kapiteln, die wie Szenen aus einem Familienalbum erscheinen, beobachtet der Junge die Geschehnisse um ihn mit scheinbar emotionslosem Blick. Die beklemmende Atmosphäre entfaltet sich im Leerraum des Nichtgesagten. Ganz nach dem Motto, weniger ist mehr, provoziert Roiss‘ nüchterner Stil beim Lesen umso stärkere Emotionen, als ausreichend Spielraum geboten wird, das Gelesene im Kopf zu illustrieren.

Stephan Roiss‘ Geschichte eines Jungen, der in einem psychisch kranken Umfeld aufwächst und um seine Identität und das eigene Überleben kämpft, fasziniert und verstört zugleich. Nicht zuletzt aufgrund seines mosaikhaften Aufbaus, der aus vielen Einzelerlebnisse ein Gesamtbild entstehen lässt und dabei auch ohne detaillierte Beschreibungen seine Wirkung nicht verfehlt, hebt sich Triceratops vor allem sprachlich von anderen thematisch ähnlich ausgerichteten Romanen ab.

Stephan Roiss, 1983 in Linz geboren, lebt als freier Autor und Musiker („Äffchen & Craigs“, „Fang den Berg“) in Ottensheim und Graz. „Triceratops“ ist sein erster Roman, für den er das Start-Stipendium des Bundeskanzleramts Österreich und das Jubiläumsfondsstipendium der Literar Mechana erhielt. Auszüge daraus wurden bereits mit dem Förderpreis Floriana 2016 und dem Förderpreis der Wuppertaler Literaturbiennale 2018 ausgezeichnet.

Foto: http://www.detailsinn.at


Das Buch:

Stephan Roiss, Triceratops. Roman. Kremayr & Scheriau, 2020. 208 Seiten. 20 €

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