REZENSION Barbara E. Seidl-Reutz 06.Oktober 2025
Eine Kaiserin im Wirtshaus? Irene Diwiak schildert in ihrem neuen Roman Die allerletzte Kaiserin eine ebenso skurrile wie fesselnde Begegnung zwischen Alltagsrealität und Habsburger-Mythos. Was als unscheinbare Begebenheit in einem Gasthaus beginnt, entwickelt sich zu einer Geschichte voller Ironie, Spannung und Fragen über Wahrheit, Erinnerung und die Macht des Erzählens.
Im Mittelpunkt steht Claudia Hendl, die unspektakulär im elterlichen Wirtshaus arbeitet, bis eines Tages die exzentrische Johanna Fialla auftaucht. Johanna behauptet, die Enkelin von Kronprinz Rudolf zu sein und somit Teil einer geheimen, von der Geschichte unterschlagenen Habsburger-Linie. Claudia, zunächst verwundert, dann neugierig, wird von Johanna als Schreiberin auserkoren, um ihre Lebensgeschichte festzuhalten. Fortan steht sie im Bann der pathetisch ausgeschmückten Erzählungen einer Frau, die alles sein könnte, oder nichts davon.
Der Reiz des Romans liegt im Zusammenspiel dieser beiden Stimmen. Johanna spricht in altertümlichem, fast theatralischem Ton, voller Pathos und Überzeugungskraft. Claudia dagegen bringt einen modernen Blick mit, sie bleibt kritisch, zweifelnd, manchmal auch ironisch. Dieses Spannungsfeld macht den Text lebendig: Man schwankt als Leser*in ständig zwischen Glauben und Unglauben, zwischen der Lust an der Legende und dem Drang, die Fakten zu kennen.
Diwiaks Sprache ist leichtfüßig, pointiert und von einem feinen Humor getragen. Sie versteht es, historische Stoffe nicht als schwere Kost, sondern als lebendiges Material zu servieren, das mit spielerischer Freiheit neu verknüpft werden darf. Gleichzeitig bleibt jedoch genug Raum für Fragen nach Identität, Erinnerung und Geschichten, die wir uns über uns selbst erzählen. Gerade darin liegt die Stärke des Romans, denn er ist sowohl vergnügliche Unterhaltung als auch eine Einladung, über die Grenzen von Realität und Fiktion nachzudenken.
Besonders gelungen ist die Figur der Johanna, eine Frau voller Eigenheiten, Stolz und Charisma, die ebenso faszinierend wie anstrengend wirkt. Claudia ist das Gegenstück. Sie ist bodenständig, zweifelnd, aber mit der Bereitschaft, sich einzulassen. Dieses ungleiche Duo trägt die Handlung und macht die Dynamik der Geschichte aus.
So wird Die allerletzte Kaiserin zu einer Lektüre, die gleichermaßen Vergnügen bereitet und zum Nachdenken anregt. Man folgt Johanna und Claudia gerne auf ihrem gemeinsamen Weg zwischen Realität und Fiktion, zwischen Wirtshaustisch und Kaiserlegende. Wer historische Stoffe mit einem Augenzwinkern schätzt und Freude an originellen Figuren hat, wird hier bestens unterhalten. Ein Buch, das man leicht liest, aber nicht so schnell vergisst.
Irene Diwiak, geboren 1991 in Graz, ist eines der großen Erzähltalente ihrer Generation. Für ihre literarischen Texte sowie ihre Theaterstücke wurde sie vielfach ausgezeichnet. Ihr Debütroman »Liebwies« stand bereits auf der Shortlist für den Debütpreis des Österreichischen Buchpreises. Es folgten ihre Romane »Malvita« sowie »Sag Alex, er soll nicht auf mich warten«.

Foto © Bogenberger Autorenfotos