Zwischen Schock und Schweben:Jaqueline Scheibers Dreimeterdreißig

REZENSION Barbara E. Seidl-Reutz 27.Mai 2025

Ein eindringliches literarisches Kammerspiel über Liebe, Verlust und das fragile „Dazwischen“, jener Moment, in dem die Zeit stillzustehen scheint und die Realität ins Wanken gerät.

In Dreimeterdreißig legt Jaqueline Scheiber ein still erschütterndes Romandebüt vor, das sich anfühlt wie ein einziger, langer Atemzug.Es ist eine Geschichte über das plötzliche Ende einer jungen Liebe, erzählt aus zwei Perspektiven: der Zurückgebliebenen und des Verstorbenen.

Die Architektin Klara wird jäh aus dem Leben gerissen, das sie sich gemeinsam mit Balázs, einem ungarischen Theatertechniker, aufgebaut hat. Sein plötzlicher Tod versetzt sie in einen Zustand, der schwer zu greifen ist, irgendwo zwischen Schockstarre, Erinnerungsflut und der absurden Alltäglichkeit, die trotzdem weitergeht. Einen Schwebezustand, den die Autorin mit großer sprachlicher Feinfühligkeit einfängt.

Der Roman wechselt zwischen Klaras Sicht und jener von Balázs, als Gedankenstrom, Nachhall und als Echo eines ungelebten Weiterlebens. Durch diesen Perspektivwechsel entsteht keine Chronologie, sondern ein emotionales Mosaik, das sich tastend an eine Realität annähert, die nicht zu begreifen ist. Die Kapitelüberschriften in Form von Uhrzeiten und poetischen Fragmenten unterstreichen das Bruchstückhafte und geben dem Buch einen fast musikalischen Rhythmus.

Was Dreimeterdreißig so eindrucksvoll macht, ist nicht nur die emotionale Wucht des Erzählten, sondern auch der subtile Umgang mit Themen wie kulturelle Unterschiede, das Unsichtbare an Beziehungen, das Ungesagte im Alltag. Scheiber zeigt, wie Liebe auch in ihrer Abwesenheit Form annimmt, und wie sich Verlust nicht nur als Trauer, sondern als völlige Desorientierung äußert.

Autorinnenportrait © Sophie Nawratil Jaqueline Scheiber, 1993 geboren, im Burgenland aufgewachsen, lebt und arbeitet in Wien. Als Minusgold bekannt geworden, studierte sie Soziale Arbeit und arbeitete bis 2022 mit Suchterkrankten sowie im Kinder- und Jugendschutz. Nach zwei plötzlichen Todesfällen im engsten Umfeld setzte sie sich öffentlich mit junger Trauer auseinander und war Mitbegründerin des Young Widow_ers Dinner Club. Sie veröffentlichte vier Bücher, u. a. »Ungeschönt« (Piper 2023) und »Offenheit« (Kremayr & Scheriau 2020). »Dreimeterdreißig« ist ihr erster Roman.

Jaqueline Scheiber, Dreimeterdreißig. Leykam 2025. 224 Seiten.

Die Sprache ist klar, nie kitschig, und dennoch poetisch und durchdrungen von einer zarten Melancholie. Man merkt der Autorin an, dass hier etwas Persönliches mitschwingt: Scheiber selbst verlor ihren Partner früh, eine Erfahrung, die sie in Literatur übersetzt, ohne je in bloße Verarbeitung zu kippen. Stattdessen bleibt sie literarisch. Sie schafft Distanz, um Nähe auszuhalten.

Dreimeterdreißig ist ein Roman über das Unmögliche: das Weiterleben nach dem plötzlichen Verlust eines geliebten Menschen. Es ist auch ein Buch über junge Liebe, über das Erwachsenwerden im Schatten des Todes, und über das, was bleibt, wenn nichts mehr ist wie zuvor.

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