REZENSION Barbara E. Seidl-Reutz, 4.Dezember 2024
In seinem zweiten Roman Pink Elephant setzt sich Luca Kieser mit Fragen von Zugehörigkeit und Identität auseinander. Aus der Perspektive seines jungen Protagonisten verknüpft er Themen wie Privilegien und Außenseitertum auf persönlicher und gesellschaftlicher Ebene.
Es ist 2006 und ganz Deutschland ist gefesselt vom „Sommermärchens“ der Fußball-Weltmeisterschaft. Nur Vincent interessiert das alles wenig. Nach einer Schlägerei hat der 14-jährige aus bildungsbürgerlichem Umfeld in denjenigen, die ihn zunächst verprügelt haben, neue Freunde gefunden. Nun möchte er genauso sein wie sie.
Sie, das sind Tarek und Ali, beide haben Migrationshintergrund und lieben Rap. Tarek gibt sich selbstsicher, ist charismatisch und impulsiv. Seine rebellische Natur und sein Umgang mit sozialen Normen machen ihn zu einem komplexen Charakter, der Vince, wie sich Vincent selbst nennt, fasziniert. Ali hingegen ist zurückhaltend und ruhig. Er fungiert oft als ausgleichende Kraft und ist ein loyaler Freund, der versucht, Konflikte zu entschärfen.

Luca Kieser wurde 1992 in Tübingen geboren. Er studierte Philosophie sowie Sprachkunst in Heidelberg, Leipzig und Wien, wo er heute lebt. Ausgezeichnet wurde er unter anderem mit dem Wortmeldungen Förderpreis, dem Lyrik-Lichtungen-Stipendium und dem FM4 Wortlaut. Sein Debütroman „Weil da war etwas im Wasser“ stand drei Mal in Folge auf der ORF-Bestenliste und war für den Deutschen Buchpreis 2023 nominiert.
Für den anfangs schüchternen Vince ist die Begegnung mit Tarek und Ali der Katalysator für seine persönliche Entwicklung und seine Auseinandersetzung mit Fragen von Identität, Zugehörigkeit und Freundschaft. Er beginnt zu rauchen, imitiert Tarek und Alis Stil, schmiert sich Bräunungscreme ins Gesicht. Doch bald wird klar, wie viel ihn von seinen neuen „Brüdern“ trennt. Fehlverhalten wird bei ihm schneller entschuldigt, während die Schulleiterin nicht zögert, die anderen beiden zu beschuldigen. Er besorgt die falschen Zigaretten – Pink Elephant statt Malboro – und wird deswegen aufgezogen. Auch das Experiment mit der Bräunungscreme geht gründlich schief: die Haut entzündet sich, zurück bleiben lediglich braune Flecken.
Braune Flecken finden sich auch an anderen Stellen. Zum Beispiel zwischen den Zeilen, wenn sich Vincents Eltern über den neuen Umgang ihres Sohnes nur wenig erfreut zeigen, oder wenn Vince bei seinem Onkel eine Wehrmachtspistole findet. Vince möchte sich von all dem, von seiner Herkunft abgrenzen. Anfangs ist dieser Drang zur Rebellion für ihn noch mehr Spiel als Ernst, bis er mit einer Realität konfrontiert wird, die er sich bisher nicht vorstellen konnte.
Erwachsenwerden ist schwer und verwirrend und Vinces Verwirrung zeigt sich auch im Stil von Pink Elephant. In rasantem Tempo springt der Autor zwischen der Gegenwart und kurz Zurückliegendem hin und her, was anfangs vielleicht etwas irritiert aber auch zeigt, wie schnell sich die Ereignisse für die jungen Charaktere überschlagen.
Für Rap Fans ist der Roman überdies eine Fundgrube an Zitaten, die vieles ausdrücken, was die Jugendlichen anders nicht kommunizieren können. Überhaupt verdeutlicht Pink Elephant die Auswirkungen einer mangelnden Kommunikation, des Nichtzuhörens und des Nichtverstehens. So muss sich auch die Leserin selbst daran erinnern, wenn sie über das gewaltbereite Machogehabe der Jungs den Kopf schüttelt, dass dieses Verhalten oft ein Selbstschutz beziehungsweise eine Identifikation mit Fremdzuschreibungen ist.
Luca Kiesers Pink Elephant ist in jedem Fall ein Roman, der die Lesenden sofort in seinen Bann zieht, viel Stoff zum Nachdenken aufgibt und vielen Jugendlichen eine Identifikationsfläche bietet.
Luca Kieser, Pink Elephant. Karl Blessing Verlag, 2024. 304 Seiten