REZENSION Barbara E. Seidl-Reutz 30.Oktober 2024
Im schwarzen Loch ist alles innerhalb der Grenzen eines Ereignishorizonts beschränkt, jedes Objekt, das mit ihm in Berührung kommt oder gar seine Grenzen überschreitet, wird von ihm verschlungen.
In Rick Luperts Debütroman Der schlimmste Feind wird das zentrale, jedoch nie direkt angespruchene Thema Flucht zu einem symbolischen schwarzen Loch, das der Autor aus verschiedenen Perspektiven umkreist und das unaufhaltsame Zerstörkräfte freisetzt.
Vor einem dystopischen, wenn auch der Realität nicht allzu fernen, Hintergrund, ist die Handlung auf einer zweigeteilten Insel angesiedelt: Im Norden das von einer autoritären Regierung kontrollierte Meerland mit der Hauptstadt Neuwien, im Süden das von Bürgerkrieg geplagte Osat, dazwischen ein Gebirge und ein Flüchtlingslager. In einer Vielzahl an Erzählsträngen, die sich wie Puzzleteile in nonlinear angeordneten Bruchstücken abwechseln, lässt der Autor Beteiligte und Betroffene zu Wort kommen.

Rick Lupert, geboren 2001, lebt in Wien und studiert Komparatistik. Aktuell arbeitet er am Landestheater Niederösterreich in St. Pölten als Dramaturgieassistent. 2021 war er Finalist bei „wir sind lesenswert“. Sein Kurzgeschichtenband „Geschichten einer Insel“ erschien im selben Jahr. Beiträge erschienen u. a. in: Kollektive Literaturzeitschrift Würzburg, Kassiber, Why nICHt?, Litrobona, Denkbilder, Literarische Blätter und DAS GRAMM. Sein Debütroman „Der schlimmste Feind“ erscheint im Frühjahr 2024 im Verlag Rotscheibe.
Wir begegnen Ramon, einem jungen Mann, der auf der Flucht von Marianne, der Frau eines hochrangigen Meerländischen Politikers angefahren wird, begleiten Marianne, bei der eben jener Unfall ein Umdenken evoziert und sie dazu verleitet, alles für die Versorgung von Ramon zu riskieren. Wir folgen Fabian, Mariannes Mann, einem korrupten Politiker, dem jede Empathie abhanden gekommen ist und werden Zeuginnen davon, wie die jüngste Generation, Mariannes und Fabians Sohn und Ramons jüngerer Bruder, versucht, Grenzen zu überwinden.
Jeder der Perspektiven hat Rick Lupert distinkte stilistische Eigenschaften verliehen. Die nonlineare Anordnung der Erzählung wiederum spiegelt unser durch den Zugang zu zahlreichen, sich teils widersprechenden Medienberichten, geprägtes Erleben der Realität wider.
„Man hört ständig scheinbar unzusammenhängende Erzählungen und verkettet sie selbst, oder lässt sie für sich stehen.“
Rick Lupert
Auch wenn die Thematik des Buches keineswegs eine leichte Kost ist, so regt die Vielzahl an Betrachtungsweisen zu einer differenzierten Auseinandersetzung mit dem Erleben von Flucht auf der einen und politischen Entscheidungen auf der anderen Seite an. Nicht nur die Handlung selbst, sondern auch die Struktur des Buches motiviert die Leserinnen, aktiv zu werden. So wird das Lesen zu einem Suchspiel, wenn man sich dafür entscheidet, die Handlungsstränge linear zu lesen und zu einem Gedächtnisspiel, wenn man das Buch auf klassische Weise von der ersten bis zur letzten Seite liest.
Erschienen im jungen Würzburger Indieverlag Rotscheibe, ist Rick Lupert mit Der schlimmste Feind nicht nur ein vielschichtiger Entwurf einer alternativen Gegenwart gelungen, sondern auch ein mit intertextuellen Anspielungen angereicherter Roman, der mit der eigenen Materialität und den Darstellungsmöglichkeiten des gedruckten Buches spielt.
Rick Lupert, Der schlimmste Feind. Verlag Rotscheibe. 260 Seiten, 1. Auflage, Softcover, Würzburg, 2024