Die unsichtbare Arbeit des Schreibens.Von Charakteren, Lektoraten und dem Versuch, die Welt zu zeigen

von Julia C. Eichhorn | 23. Februar 2024

Ein Buch zu schreiben ist keine Arbeit. Vom Brotjob gut erholt, macht man sich einen Kaffee oder einen Whiskey on the rocks, legt die Lieblingsplatte auf, alle anderen Familienmitglieder sind mit ruhigen Tätigkeiten beschäftigt und lassen einem die Zeit und den Raum, die man braucht. Optimale Bedingungen, um sich ins Schreiben zu stürzen. Überquellend vor Inspiration und Ideen macht man sich motiviert an die Arbeit und siehe da, hunderte von neuen Seiten sprudeln nur so aus den Fingern. So präzise verfasst, dass es nicht nötig ist, sie weitere dreiundachzigmal zu bearbeiten. So harmonisch, dass man das Manuskript, so wie es ist, direkt an einen Verlag schickt und natürlich sofort verlegt wird! Herrlich, und das alles in nur zwei Monaten.

Manchmal habe ich das Gefühl, dass Leute, die nicht schreiben, es sich ungefähr so vorstellen. Ein Hobby, aber doch keine echte Arbeit. Natürlich liegt die oben beschrieben Situation fernab jeder Realität. Unsichtbar für das Auge des Betrachters liegen in jedem fertigen Buch stundenlange Recherchen, durchwachte Nächte, Kopfzerbrechen, Motivations-Tiefs, aus denen man sich mühsam wieder heraufarbeiten muss, noch mehr Recherchen, aber natürlich auch viele Glücksmomente. Jedes Genre verlangt anderes Wissen von Autor*innen und so wird man im Laufe der Vorbereitung Spezialist*in für Raumfahrt, Kartografie oder Botanik. Für Wundbehandlung, Waffen oder Psychologie. Und nicht nur das: Bevor auch nur ein Wort geschrieben wird, muss man Charaktere und deren Entwicklung ausarbeiten, Beziehungen spinnen, den Spannungsbogen formen und das große Crescendo dirigieren. Und sobald man endlich zu schreiben beginnt, wird es erst richtig skurril. Charaktere, die ihr Eigenleben entwickeln, sind genauso üblich, wie stundenlange Überlegungen welche Art des Gehens eine Emotion am besten ausdrücken kann. Stolzieren, schreiten, gemessenen Schrittes gehen? 

Erst sobald den Autor*innen diese Mammutaufgabe gelungen ist, beginnt die Reise des Manuskripts. Wird von Hand zu Hand gereicht, zur Probe gelesen, lektoriert, korrigiert, kritisch gemustert, in seine Einzelteile zerlegt und wieder zusammengefügt. Eine haarsträubende Zeit für die Autor*innen, aber die interessanteste für mich als Lektorin. Seite um Seite, Stunde um Stunde versinke ich in diese neue Welt und versuche behutsam Steine auszugraben, die einen zum Stolpern bringen, Hindernisse zu entfernen, die mir den Weg versperren und Brücken zu errichten, wo sie fehlen. Für diese Arbeit braucht man eine gute Portion Wertschätzung, einiges an Fingerspitzengefühl und einen kräftigen Schuss Robustheit. Es ist nicht immer einfach für Autor*innen jemand anderen an ihren Texten herumfeilen zu lassen. Dementsprechend beliebt sind Lektor*innen bei dieser Berufsgruppe. Lässt man sich jedoch auf die gemeinsame Arbeit ein und hat jemanden gefunden, dem man vertraut und bei dem man sich verstanden fühlt, kann der Austausch inspirierend sein und dann und wann hat man sogar von neuen Freundschaften gehört, die durch die Arbeit an einem Manuskript entstanden sind. Landet der Text schlussendlich wieder bei dem Autor oder der Autorin, von roten Linien durchfurcht, sackt den meisten erst einmal das Herz in die Hose. Hat man diesen Punkt jedoch überschritten, motiviert davon, dass das Ende zu sehen ist, erfreut man sich bald an einem Manuskript, das sich wie aus dem Ei gepellt lesen lässt. 

Viele hunderte Stunden Arbeit fließen in eine gute Geschichte, aber jede Minute ist es wert. Schreiben verbindet einen nicht nur mit sich selbst, sondern auch mit der Welt um einen herum. Man lernt genau hinzusehen, Belanglosigkeiten werden wichtig. Der Herbstwind, der trockene Blätter wie eine Schar Mäuse vor sich hertreibt, Tauben, die nach dem Regen aus den Straßenbahngleisen trinken, die Tage, an denen der Mond fast durchsichtig am Himmel hängt. Schreiben ist mehr als nur Arbeit und weit mehr als nur ein Hobby. Geschichten zu erzählen ist etwas zutiefst Menschliches, ein Versuch die Welt zu zeigen, wie man sie selbst erlebt. Frei nach dem Nobelpreisträger Kazuo Ishiguro: Jede Geschichte handelt immer davon, dass ein Mensch zu einem anderen sagt: So empfinde ich das. Empfindest du es genauso?

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