Aus dem Pflegeheim: David Fuchs‘ Zwischen Mauern

REZENSION Katharina Peham, 22.November 2023

Herr T. macht seinen Kussmund. Meta sprüht ihm eine kleine Menge Cognacwasser auf die Lippen. Er öffnet den Mund. Die Augen bleiben geschlossen, aber Meta bildet sich ein, dass sie kleine Fältchen um die Augen bilden, als würde er lachen.


Margareta Blum, kurz Meta, möchte ihrem langweiligen Job entkommen und meldet sich als freiwillige Sitzwache in einem Pflegeheim. Dort wird sie Herrn T.zugeteilt, der nachts schlecht schläft und die ganze Nacht durchschreit, wenn er allein ist. Sie weiß noch nicht, dass ihre Sitzwache von kurzer Dauer sein wird – Herr T. liegt im Sterben und sein Ende naht schnellen Schrittes. Schnell empfindet sie für den alten Herren Sympathien und nimmt ihm Cognac mit, überlegt sich eine Playliste für ihn, singt für ihn Kinderlieder und liest ihm Märchen vor.

David Fuchs, Zwischen Mauern.Haymon Verlag 2023, 224 Seiten, € 19.90.

Begeistert berichtet sie ihre Fortschritte dem Pfleger Moses und dem Arzt Dr.Plomp, die zunächst verhalten auf ihre Begeisterung reagieren. Moses erzählt ihr schließlich, dass man Gerüchte gehört hätte, die darauf hindeuten, dass Herr T. Zeit seines Lebens kein netter Mensch gewesen sei, und auch seine Frau geschlagen hätte. Meta kommt mit der Lebensgeschichte von Herr T. schlecht zurecht:
Es ist nicht fair, dass man sie in dieses Zimmer gesteckt hat. Mit diesem Säufer, diesem Schläger, nicht fair.

Ab diesem Zeitpunkt hadert Meta mit ihrer selbstgewählten, freiwilligen Tätigkeit.
Die zweite wichtige Figur in diesem Roman, Moses, bekommt viele Tätigkeiten in diesem Roman, jedoch wenig Raum zur Figurenentwicklung. Moses, der als Symptom für die gegenwärtigen Zustände im Pflegesystem steht, gewährt ab und an Blicke in den Pflegenotstand:
Im Sommer war es immer schlimm mit den Diensten, weil es wegen der Urlaubszeit noch knapper wurde, aber inzwischen ist es das ganze Jahr nicht viel besser.

Foto: © http://www.fotowerk-aichner.at

David Fuchs, geboren 1981 in Linz, ist Autor und Palliativmediziner. Mit schnörkelloser Sprache lenkt er unseren
Blick auf die Dinge, die sich zwischen und in uns abspielen. Sensibel zeichnet er uns in unseren menschlichsten
Momenten: in unserer unfreiwilligen Komik, in unseren einschneidendsten Augenblicken, in unserer tiefsten Nähe
zueinander. 2018 erschien mit „Bevor wir verschwinden“ bei Haymon sein Debütroman, der mehrfach
ausgezeichnet wurde: 2016 mit dem FM4-Wortlaut für einen Auszug, 2018 stand er auf der Shortlist für den
Österreichischen Buchpreis Debüt und errang den 2. Platz des Bloggerpreises „Das Debüt“. Darüber hinaus erhielt
David Fuchs 2018 den Alois Vogel Literaturpreis. 2020 folgte sein neuer Roman „Leichte Böden“ (Haymon). Im
Frühjahr 2021 erschien mit „Handbuch der Pflanzenkrankheiten“ (Haymon) sein erster Gedichtband. Für Auszüge daraus wurde er 2018 mit dem Feldkircher Lyrikpreis ausgezeichnet. In „Zwischen Mauern“ (Haymon, 2023) bringt
David Fuchs Farbe in die schwarz-weiße Routine eines Pflegeheims.

David Fuchs stellt die Leserinnen vor die zentrale Frage: Wie geht man mit Menschen im Alter um, die zeitlebens keine guten Menschen waren? Wieviel Fürsorge und Hingabe verdient ein Mensch, der selbst weder das eine noch das andere je für einen anderen Menschen getan hat? In simplen Dialogen wird hier eine Welt in der Pflege aufgebaut, die für Menschen gedacht ist, die bis dato wenig Berührungspunkte mit diesem Thema hatten. Der Autor und Palliativmediziner David Fuchs beschäftigt die Leserinnen auch damit, wie es für jemanden sein kann, das erste Mal jemanden beim Sterben zu begleiten. Dies passiert in ruhigem Ton, der zeitweise Gefahr läuft, etwas langweilig zu werden.
Das Buch bietet jedoch einen guten Einblick in die Welt der Nachtdienste und vermittelt ein Gefühl dafür, wie Menschen die Nacht allein wach verbringen:
Mitternacht heißt auch: Es gibt jetzt Kaffee. Moses hat alles, was er dazu braucht, in seinem Rucksack: den frisch gemahlenen Kaffee, den er zu Hause schon vorbereitet hat, und die kleine Bialetti, mit der man passablen Espresso machen kann.

Inmitten einer farblosen Pflegeheimwelt mit fast leblosen Patienten bleibt auch Dr. Plomp entgegen seines orangefarbenen Stethoskops noch farbloser im Roman und dient als Außenpunkt, um die Handlung voranzutreiben. In jedem Kapitel des Romans führt die geheimnisvolle Figur Meta scheinbar endlose Gespräche mit einer Frau, die zu Beginn des Buches bereits verstorben ist. Der
Zweck dieser Begegnungen bleibt auch bei genauerer Betrachtung rätselhaft und
scheint tief in den Abgründen der menschlichen Psyche vergraben zu sein.

„Zwischen Mauern“ ist trotz des gewählten Themas aufgrund der leichten, an der Oberfläche kratzenden Erzählung eines jener Bücher, die sich weg atmen lassen wie sonst nur Snacks. Das Buch, das sich in 6 Kapitel gliedert, die jeweils eine Nacht an der Seite von Herrn T. erzählen, liest sich schnell und ermöglicht pflegefremden Personen einen ersten Einblick in das Thema Pflege, ohne überfordernd zu wirken.

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