REZENSION Barbara E. Seidl 13. Jänner 2023
Wenn die Dinge, die uns umgeben, sprechen könnten, dann hätten sie so einiges zu erzählen. In Luna Al-Mouslis Um mich herum Geschichten tun sie es. Einfühlsam und mit viel Liebe zum Detail lässt die Autorin bewegungslose Gegenstände die Geschichte ihrer Kindheit inmitten einer Großfamilie in Damaskus zum Leben erwecken. Da ist eine Promotionsurkunde, die versteckt hinter der Tür hängt, ein kostbarer Anzug, der auf die richtige Gelegenheit wartet, getragen zu werden, oder eine Oud, eine arabische Laute, die lange nicht gespielt wurde.
Aus dem Blickwinkel von Alltagsgegenständen zeichnet Al-Mousli das Leben ihrer Großeltern, Onkeln und Tanten in Syrien nach. Dieser Blickwinkel ist unvoreingenommen, er wertet nicht. Die Bedeutung dessen, was die Dinge beobachten, erschließt sich durch die Handlungen der Personen, im Ungesagten. So etwa auch im ersten Kapitel, in dem ein Laptop Zeuge wird, als seine neue Besitzerin Facebook für sich als Sprachrohr entdeckt.
Ich war überrascht. Diese alte Frau, die mich wie ein Schutzschild auf dem Schoß aufklappte und die sich hinter mir versteckte, die sich bei Diskussionen im Wohnzimmer nur am Rande bemerkbar machte, wollte sich äußern. Sie wusste Bescheid und war bereit, ihre Meinung mit einer unbekannten Masse zu teilen.
aus Um mich herum Geschichten, Luna Al-Mousli, Edition W 2022

Luna Al-Mousli, geboren 1990, aufgewachsen in Damaskus, lebt und arbeitet heute als Autorin, Grafik Designerin und Illustratorin in Wien. Ihr erfolgreiches Debüt „Eine Träne, ein Lächeln. Meine Kindheit in Damaskus“ wurde unter anderem mit dem Österreichischen Kinder- und Jugendbuchpreis ausgezeichnet. Ehrenamtlich engagiert sie sich im Bereich Bildung und Integration.
Foto © Westend Verlag

Luna Al-Mousli, Um mich herum Geschichten. Edition W2022, 150 Seiten, € 17.
Anhand der ungewöhnlichen Erzählperspektive gelingt es Al-Mousli die syrische Lebenswirklichkeit zwischen Melancholie und Lebensfreude spürbar zu machen. Die Art und Weise, wie die Familienmitglieder mit den Gegenständen umgehen, lässt die Leser*innen die Bedeutung erkennen, die diese Dinge in deren Leben haben. So erzählen die Gegenstände von Hoffnungen und Träumen aber auch von jenen Momenten, in denen diese Wünsche für immer begraben werden.
Um mich herum Geschichten ist ein sehr bewegendes Buch. Behutsam widmet es sich den großen Schicksalsschlägen wie den kleinen unscheinbareren Momenten des Alltags. Den Leser*innen wird dabei ausreichend Raum gelassen, die Geschichte selbst aus den Puzzleteilen einzelner Szenen zusammenzufügen. Durch diesen Kunstgriff schafft es die Autorin nicht nur das Beschriebene lebendig werden zu lassen, sondern bietet auch zahlreiche Anknüpfungspunkte für Empathie und interkulturelles Verständnis.
Danke für den Tipp. Ich mag Texte, die Dinge zum Sprechen bringen!
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Hab’s mir direkt gekauft 😉
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Viel Freude beim Lesen!
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