Zwischen Abfahrt und Ankunft: Reisen mit Stefan Zweig

REZENSION Barbara E. Seidl, 6. September 2021

Die Routine des Alltags: was den einen ein Gefühl der Sicherheit gibt, wird für andere schnell einengend. Eintönige Gewohnheiten und lästige Verpflichtungen lassen sie von der Ferne träumen, von Reisen, die weit weg führen vom Zuhause und von sich selbst. Auch Stefan Zweig trieb es immer wieder in die weite Welt hinaus. Schon als junger Mann fuhr er nicht nur quer durch Europa, in die Zentren und an die Ränder und bis nach Russland, sondern er reiste auch nach Indien und Nordamerika, von Suez bis zum Panamakanal, von Algier bis Brasilien.

»Wenn wir reisen, tun wir’s doch nicht nur um der Ferne allein willen, sondern auch des Fortseins vom Eigenen, von der täglich geordneten ausgezählten Hauswelt, um der Lust willen, des Nicht-zu-Hause-Seins und deshalb Nicht-sich-selbst-Seins.« 

Stefan Zweig
Stefan Zweig
»Häfen und Bahnhöfe, 
sie sind meine Leidenschaft.«, hrsg. v. Arturo Larcati und Bernhard Fetz, Jung und Jung 2021, 352 Seiten, €25

Das „bloße Dahinleben“ sollte durch Erleben unterbrochen werden. Nachhaltige Eindrücke der wechselnden Landschaften und Gedanken, die er während seiner Reisen mit Bahn, Schiff oder auch mit dem sich damals gerade erst langsam durchsetzenden Auto entwickelte, hielt Zweig in Tagebucheinträgen, Briefen und Reiseberichten fest. Die von Arturo Larcati und Bernhard Fetz zusammengetragene Sammlung aus bekannteren und bisher noch unveröffentlichten Texten führt die Leser:innen an die entlegensten Orte. Hat man sich einmal auf Zweigs etwas altmodische, schwulstige Sprache eingelassen, gibt es in den anschaulichen Berichten einiges zu entdecken. So sind die Texte nicht nur Zeugnisse aus einer vergangenen Zeit, sondern sie laden auch dazu ein, die Umgebung (nicht nur beim Reisen) bewusster wahrzunehmen. Reisen mit Stefan Zweig ist nicht zuletzt auch eine Verbeugung vor der therapeutischen Wirkung des Reisens, da der Autor nicht müde wird, die heilende Funktion von Bewegung, Glücksmomenten und Sozialkontakten zu betonen.

Gerade in Zeiten von Reisebeschränkungen und Einreiseverboten ist »Häfen und Bahnhöfe, sie sind meine Leidenschaft.« ein literarischer Genuss, eine gute Gelegenheit für ausgedehnte Reiseabenteuer im Kopf.


Arturo Larcati ist Direktor des Stefan Zweig Zentrums der Universität Salzburg und Professor für neuere deutsche Literatur an der Universität Verona. 


Bernhard Fetz ist Direktor des Literaturarchivs, des Literaturmuseums, sowie der Sammlung
für Plansprachen und des Esperantomuseums der Österreichischen Nationalbibliothek und Dozent am Institut für Germanistik der Universität Wien.

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