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Jörg Piringer arbeitet an der Schnittstelle von Kunst und Technologien an (interaktiven) Sound-Text Installationen und Datenpoesie. In seinem gleichnamigen Buch unterstreicht er die Dringlichkeit einer kritisch-kreativen Auseinandersetzung mit Daten beziehungsweise mit Oberflächen und Quellcodes heutiger und kommender Umgebungen. Was Datenpoesie ist und warum das Interesse daran in Österreich erst langsam zunimmt, erzählt er im Interview.
Wie könnte man Leser*innen, die sich bisher noch nie mit digitaler Literatur auseinandergesetzt haben, am besten den Begriff „digitale Poesie“ oder Datenpoesie erklären?
der begriff „digitale poesie“ ist ein hilfsausdruck für eine poesie, in der digitale computer eine massgebliche rolle im schreib- oder darstellungsprozess spielen. glücklich bin ich mit dem begriff nicht, wie ich in der nächsten fragebeantwortung erörtere. ich finde ihn zu ungenau.
aus diesem grund habe ich den begriff „datenpoesie“ erfunden, um die machart meiner dichtung aus datenquellen und programmen zu betonen.
In Ihrem Band datenpoesie (Ritter Verlag 2018), der im Vorjahr auch auf Englisch (data poetry, Counterpath Press 2020) erschienen ist, wird digitale Poesie in Buchform dargestellt. Ist das nicht ein Widerspruch?
im grunde ist heutzutage fast jede poesie digitale poesie, da selbst publikationen auf papier (sofern sie nicht im bleisatz gedruckt werden) digital erfasst, gesetzt und gedruckt werden.
insofern sehe ich keinen grossen widerspruch darin. bei mir ist einzig der schreibprozess ein anderer als bei anderen schriftstellerinnen. ich schreibe meine texte nicht direkt sondern stattdessen programme, die die texte und textbilder in „datenpoesie“ maschinell erzeugen.
meine bücher sind nur varianten der publikation dieser texte oder textkonzepte. genauso führe ich sie als digitale performances auf bühnen auf (wenn es nicht grad wieder eine pandemie gibt) oder veröffentliche sie in form von apps für computer und mobile geräte.

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Jörg Piringer, datenpoesie, Ritter Verlag 2018, ca. 200 Seiten, € 18.90.
Werden sich die Frage nach dem Urheberrecht schon bald erübrigen, weil die meisten Texte aus einer Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine generiert werden?
dieser umstand wird sicher einfluss auf das urheberrecht nehmen, aber erübrigen wird es sich wohl nicht so rasch.
Die Anfänge digitaler Literatur reichen bis in die 70er Jahren zurück, dennoch ist diese Kunstform nach wie vor am stärksten in den USA vertreten. Haben Sie den Eindruck, dass das Interesse für digitale Poesie und Code Poetry auch in Österreich langsam zunimmt?
die literatur ist wahrscheinlich die konservativste der kunstformen. der etablierte deutschsprachige literaturbetrieb hat sich lange gegen jeden einfluss des digitalen gewehrt. unter anderem auch deswegen konnte ein amerikanischer konzern innerhalb von 20 jahren zum de facto monopolisten des (nicht nur) elektronischen buchhandels aufsteigen.
in den letzten jahren und aktuell durch die pandemie, die einen allgemeinen digitalisierungsschub gebracht hat, ist das interesse gestiegen. dennoch glaube ich, dass noch viel potential besteht und dass gerade die literatur viel aufzuholen hat. ganz begreife ich das mangelnde interesse auch nicht, denn eigentlich sollten doch maschinen, die mittels text programmiert werden, das genuine betätigungsfeld von schriftstellerinnen sein, oder nicht?
Mit digitaler Poesie wird nicht zuletzt auch das Potential kreativer künstlicher Intelligenz ausgelotet – oft lässt sich nicht mehr erkennen, welche Texte von Menschen und welche von Maschinen geschrieben wurden. Ist das nicht auch bedenklich?
ja, ich meine, dass wir darüber nachdenken sollten, was das bedeutet. unter anderem werfen die texte in „datenpoesie“ auch diese frage auf.
bedenklicher als die problematik der unterscheidbarkeit von menschen- und maschinenerzeugter literatur finde ich allerdings die frage, wer die ressourcen und daten, die zum betrieb dieser maschinen notwendig sind, kontrolliert. und welche machtverhältnisse aus dieser kontrolle entstehen. die konflikte um die verantwortlichkeit von grossen konzernen für die von ihnen betriebenen sozialen medien geben meiner meinung nach einen vorgeschmack auf die kommenden probleme mit der technologie, die hinter diesen texterzeugenden systemen steht.
darüber nachzudenken sollte auch die aufgabe von künstlerinnen sein. deswegen beschäftige ich mich mit „datenpoesie“.
jörg piringer geboren 1974. lebt in wien. ist mitglied des instituts für transakustische forschung und des gemüseorchesters. arbeitet in den lücken zwischen sprachkunst, musik, performance und poetischer software.
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