ARTIKEL Barbara E. Seidl, 30. Januar 2021
Maschinen, die Texte schreiben – ist das noch Literatur? Und wie sieht es mit dem Material aus, auf das sie zurückgreifen? Dazu einige Gedanken über eine der vielen Spielarten digitaler Literatur – den (digitalen) Remix.
Der Begriff „Remix“ wurde aus dem Bereich der Musik entliehen, wo darunter vor allem die Neuabmischung bereits existierender Titel verstanden wird. In den späten 1960er Jahren, etwa zur selben Zeit als Roland Barthes und Michel Foucault über die Kontrolle des Autors über sein Werk philosophierten, entwickelte sich in Jamaika mit Dub die erste Phase des elektronischen Musik-Remix‘.
Bereits ein Jahrzehnt davor hatten der englische Maler Brion Gysin und der amerikanische Schriftsteller William S. Burroughs die Cut-Up Technik entwickelt, ein Konzept der literarischen Collage, das seinen Ursprung in früheren Text-Experimenten, wie etwa „Um ein dadaistisches Gedicht zu machen“ von Tristan Tzara, einem Mitbegründer des Dadismus, hatte. Das Neuabmischen bereits existierenden Materials stellte die Rolle des Autors als alleiniger Produzent in Frage.
Remix has changed how we look at the production of material in terms of combinations.
Eduardo Navas, Remix Theory. The Aesthetics of Sampling.
Das „Material“, von dem hier die Rede ist, besteht in erster Linie aus Text, beziehungsweise Textfragmenten, in zweiter Linie aber auch aus Bild, Ton, Musik und Video, sowie aus digitalen Daten. Die Reproduktion dieses Materials geht im Fall von digitalen Remixes Hand in Hand mit technischen Entwicklungen und ist dementsprechend kurzlebig.
Ein wichtiger Begriff in diesem Zusammenhang ist „Sampling“. Darunter versteht man das Entnehmen einer repräsentativen Probe, also im erweiterten Sinn auch jegliche Form der mechanischen Aufzeichnung wie etwa Kopieren und Ausschneiden von einzelnen Details zu Untersuchungszwecken. Somit wird jedes Foto und jede Kopie eines Textauszugs zum Sampling, das die Wirklichkeit, beziehungsweise die Gesamtheit, der es entnommen wurde, schon allein durch die Auswahl des jeweiligen Abschnitts kommentiert.
Beim digitalen Remix wurde nun bereits die nächste Stufe des Samplings erreicht, da hier nicht mehr Teile der realen Welt als Material dienen, sondern bereits existierende Aufzeichnungen recycelt werden. Dabei ist der Computer das ultimative Remix-Werkzeug, da er Binärdaten archiviert und weiterverarbeiten kann. Beim Remix wird das ausgewählte Material einer Reevaluation unterzogen. Mit Hilfe von Textgeneratoren können lineare Textflüsse per Zufallsprinzip aufgebrochen werden und so im Sinne von Gysins und Burroughs Cut-ups die Sprache von Syntax und Textkohärenz befreien. Doch das ist nur eine von vielen Möglichkeiten des digitalen Remix. Neben dem Zusammenmischen von Material im Sinne von Mash ups und dem Aufbrechen von linearen Textsträngen, kann Remix auch mit Hilfe von Hyperlinks eine Vielzahl an Quellen miteinander verbinden. Hierbei üben der Hyperlink beziehungsweise ausgewählte Schlüsselwörter sozusagen die Funktionen des Samplings aus. Hinzu kamen in den letzten Jahren auch vermehrt Beispiele digitaler Remixes, die sich statistischer Methoden wie des Data Mining und Tracking bedienen.
Doch wer ist letztendlich für das Endprodukt, den jeweiligen Remix verantwortlich? Trotz der Bandbreite an Formen, die Remix annehmen kann, spielt der Remixer beziehungsweise die Remixerin eine zentrale Rolle – sei es durch die Auswahl des Materials oder durch die Programmierung der verwendeten Programme. Bei interaktiven Remixes wird Remix zu einer Gemeinschaftsarbeit zwischen Remixer und Benutzer und in manchen Fällen kommt auch dem Programm beziehungsweise der Programmiersprache eine bedeutungs- oder formgebende Rolle zu. Trotz der Wichtigkeit, die Quellen des Ausgangsmaterials anzuführen, da gerade die Geschichte des Materials oft ausschlaggebend für die Kontextualisierung der Remix‘ ist, bleibt zu erwägen, inwiefern der/die Autor*in der Textfragmente noch Co-Autor*in des Remix‘ ist. Vor allem erscheint es hier notwendig, zwischen der Verwendung des Materials in Form einer Kopie, eines Kommentars oder einer Satire zu unterscheiden.
Das Thema Remix spaltet die Gemüter. Während sich die einen um Urheberrechte sorgen, ist im Internet die Plattform Recht auf Remix entstanden, die Remix als kreative Kopie versteht, bei der „Altes im Neuen kenntlich bleibt“. Textgeneratoren, die aus einer Fülle an ins Internet gespeisten Daten automatisch Texte generieren sind etwa im Bereich des Online-Journalismus schon seit längerem Gang und Gebe. Warum also, fragt etwa der österreichische Datenpoet Jörg Piringer, sollten nicht auch (Sprach)Künstler mit Hilfe eigens dafür entwickelter Programme aus bestehendem Material dynamische Poesie entwerfen?
die poetinnen der kommenden jahre werden nicht zusehen und konzernen die hoheit über die sprachalgorithmen überlassen.
Jörg Piringer, „was wird literatur? was wird poesie?“
Letztendlich ist Remix so wie andere Kunstformen auch Geschmacksache. Mag sein, dass er, wie Scott Lash in Sociology of Postmodernism (1990) meinte, das „kulturelle Kapital“ der Verbrauchergesellschaft der neuen Mittelschicht reflektiert, die aufgrund ihres vielfältigen Wissens kulturelle Anspielungen zu erkennen und interpretieren vermag. Vielleicht ist dieses hochgebildete, medienkundige Publikum sogar die Hauptzielgruppe von Remix. Andererseits trägt Remix aber auch zu einem breiten Diskurs über Autor*innenschaft bei, nicht zuletzt bedingt durch die Debatte rund um den Schutz des Urheberrechts im Internet.
LITERATUR:
Burroughs, William S., Gysin, Brion: William S. Burroughs, Brion Gysin and Throbbing Gristle. Re/Search Publications Vol.4/5, San Francisco: 1982.
Flusser, Vilém: Ins Universum der technischen Bilder. European Photography, 1996.
Goldschmith, Kenneth: Uncreative Writing. Managing Language in the Digital Age. Columbia University Press, New York: 2011.
Gysin, Brion (edt.), Kuni, José Férez (edt.): Brion Gysin: Tuning into the Multimedia Age. Thames & Hudson, London: 2003.
Lash, Scott: Sociology of Postmodernism, Routledge, London: 1990
Lessig, Lawrence: Free Culture. How Big Media Uses Technology and the Law to Lock Down Culture and Control Creativity. The Penguin Press: 2004.
Navas, Eduardo: Remix Theory. The Aesthetics of Sampling. Springer-Verlag. Wien: 2012.
– Electronic Literature and the Mashup of Analog and Digital Code. 2010. http://www.dichtung-digital.org/2010/navas/navas.htm
Piringer, Jörg: „was wird literatur? was wird poesie?“ Was wird Literatur. Literaturhaus Graz, 9. 11. 2015.
Simanowski, Roberto: Digital Art and Meaning. Reading Kinetic Poetry, Text Machines, Mapping Art, and Interactive Installations. University of Minneapolis Press, Minneapolis, London: 2011.
BARBARA SEIDL ist freie Autorin, Medien- und Literaturwissenschaftlerin und Gründerin der Literaturplattform Litrobona. Zu ihren akademischen Forschungsschwerpunkten zählen literaturwissenschaftliche Emotionsforschung, Darstellungsformen von Abwesenheit und Mehrsprachigkeit in der Literatur, sowie digitale Literaturkonzepte.
Guten Tag.
Ich habe Ihren Beitrag mit Interesse gelesen.
Meine Antwort dazu:
das woher die Worte
sonst noch
ohne Eingemachtes
Altehrwürdiges
in die Hand
der Poeten
oder aus dem Drucker
seelenlos
auch fliessen mag
ich denke mir als Leser
dass ein Text
wenn er in mir erwacht
in soweit
er mich zu neuer Einsicht
mich bewegt und bringt
dann ist das gegebene Wort
meiner Einfachheit Genüge
dem getan
Herzliche Grüße
Hans Gamma
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Lieber Herr Gamma, vielen Dank für das tolle Gedicht! Herzliche Grüße, Barbara Seidl
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