Clemens J. Setzs Monde vor der Landung

REZENSION Barbara E. Seidl 20. Januar 2024

Auch wenn der stark verallgemeinernde und meist negativ besetzte Begriff „Querdenker“ gerade in den letzten Jahren ins Zentrum öffentlicher Diskussionen gerückt ist, hat es immer schon Menschen gegeben, die allgemein anerkanntes Wissen anzweifelten. Ein Beispiel ist der Religionsgründer und Schriftsteller Peter Bender, dem Clemens J. Setz mit seinem im Vorjahr mit dem Österreichischen Buchpreis ausgezeichneten Roman Monde vor der Landung ein literarisches Denkmal gesetzt hat.

Peter Bender war ein überzeugter Verfechter der sogenannten Hohlwelttherie, einer Theorie der zufolge wir nicht auf sondern in einer Kugel leben. Abgesehen davon, dass alle bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnisse gegen diese Theorie sprechen und die Vorstellung in einer Kugel zu leben etwas sehr Beklemmendes an sich hat, ist Peter Benders alternatives Weltbild relativ harmlos.

Von Worms aus gründete Bender rund um seine Hohlweltlehre eine Religionsgemeinschaft. Sein missionarischer Erfolg blieb überschaubar – er konnte nur eine kleine Anhängerschar überzeugen. Dennoch stieß er bald auf Widerstand und wurde wegen der Verbreitung aufwieglerischer Flugschriften verhaftet. Auch die wenigen Unterstützer, die Bender noch blieben, wandten sich nach Machtergreifung der Nationalsozialisten schließlich von ihm ab, als herauskam, dass Benders Frau Charlotte Jüdin war.

Clemens J. Setz, Monde vor der Landung. Suhrkamp 2023, 528 Seiten, € 27,50

Clemens J. Setz wurde 1982 in Graz geboren, wo er Mathematik und Germanistik studierte. Heute lebt er als Übersetzer und freier Schriftsteller in Wien. 2011 wurde er für seinen Erzählband Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet. Sein Roman Indigo stand auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2012 und wurde mit dem Literaturpreis des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft 2013 prämiert. 2014 erschien sein erster Gedichtband Die Vogelstraußtrompete. Für seinen Roman Die Stunde zwischen Frau und Gitarre erhielt Setz den Wilhelm Raabe-Literaturpreis 2015. Mit Vereinte Nationen war Setz 2017 und mit Die Abweichungen 2019 zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen. 2021 wurde er mit dem Georg-Büchner-Preis geehrt. Für Monde vor der Landung erhielt er 2023 den Österreichischen Buchpreis.  

Foto © Raphaela Prell

Clemens J. Setz nähert sich Benders außergewöhnlicher wie tragischer Lebensgeschichte mit großem Einfühlungsvermögen und Respekt. Nie wirkt die Schilderung von Benders ungewöhnlichen Vorstellungen und dem egozentrischen Verhalten seinen Mitmenschen gegegebnüber in irgendeiner Weise wertend. So könnte die Hohlwelttheorie vor dem politischen Hintergrund der Zeit auch als Versuch angesehen werden, mit der düsteren Wirklichkeit zurechtzukommen.

Mit Monde vor der Landung beweist Clemens J. Setz einmal mehr, dass er ein Faible für ungewöhliche Themen hat. In Bender fand er einen idealen Protagonisten: einen komplexen Mann, der sich schwer in Kategorien wie Gut und Böse einordnen lässt. Neben Benders widersprüchlichem Charakter kommt auch dessen Hohlwelttheorie dem Autor entgegen, denn Kugeln und runde Dinge finden sich bereits in mehreren seiner früheren Erzählungen. Der unnachahmliche und unkonventionelle Erzählstil von Clemens J. Setz, das Ausloten von Grenzen und deren lustvolle Überschreitung, gibt der seltsamen Lebensgeschichte Peter Benders eine ideale Form und sorgt dafür, dass sie nicht mehr in Vergessenheit gerät.

Hinterlasse einen Kommentar