REZENSION Barbara E. Seidl, 22. Mai 2023
Ist die Literatur die Zwillingsschwester der Malerei?
Maria Lassnig
Die Ausnahmekünstlerin Maria Lassnig war eine begeisterte Leserin. Inspriert durch ihre zahlreichen Freundschaften zu zeitgenössischen Autorinnen und Autoren hegte sie eine Liebe für Literatur. Sich auszudrücken und Eindrücke künstlerisch zu verarbeiten, war für die Malerin eine Notwendigkeit. War Lassnigs Ausdrucksmittel zwar in erster Linie die Malerei, so besaß sie, wie die von ihr hinterlassenen Schriften beweisen, durchaus auch literarisches Talent.
Behutsam zusammengetragen aus dem reichhaltigen Fundus der Maria Lassnig Stiftung, vereinen die Herausgeber*innen Peter Handke, Barbara Maier und Lojze Wieser in Am Fenster klebt noch eine Feder Auszüge aus Lassnigs Briefen, Notizen und Filmtexten.
Im Mittelpunkt der ausgewählten Texte stehen Wurzeln – Erinnerungen an die Kärntner Kindheit und Naturbetrachtungen – aber auch Überlegungen zum Schreiben und seiner Verwandtschaft zur Malerei.
So war auch das Schreiben ein wichtiges Ausdrucksmittel für die Malerin, denn, wie sie betont, „es war ja immer etwas da, etwas, nur keine Worte, die müssen gefunden werden“.
Für Handke, der Lassnig persönlich gut kannte, war Lassnig „nicht nur eine Mal-Persönlichkeit, sondern auch eine Schreib-Persönlichkeit“.

Maria Lassnig: Am Fenster klebt noch eine Feder. Hrsg. von Peter Handke, Barbara Maier und Lojze Wieser. Wieser Verlag 2023. 120 Seiten, € 24.
Wie Lassnigs Bilder zeugen auch ihre Notizen vom Streben nach einer authentischen Abbildung von Sinneseindrücken und innerem Empfinden. Dabei zeigt sich ein humorvoller und intuitiv treffsicherer Umgang mit Sprache, was beweist, dass das Talent, sich auf kreative Weise auszudrücken, nicht unbedingt auf eine Kunstform beschränkt sein muss.
Am Fenster klebt noch eine Feder ist eine schöne Ergänzung zu Lassnigs künstlerischem Werk, ein Genuss für Lassnig-Fans und eine gute Anregung, sich mit den Bildern der Malerin auseinanderzusetzen.
Maria Lassnig: Bildende Künstlerin, geboren 1919 in Kappel am Krappfeld/Kärnten; gestorben 2014 in Wien. 1940 fährt Maria Lassnig mit dem Fahrrad von Kärnten nach Wien, wo sie an der Akademie der bildenden Künste Malerei studiert. Ab den späten 1940er-Jahren Arbeiten zum Körperbewusstsein, die ihr Lebenswerk prägen werden. Mit Arnulf Rainer reist Lassnig 1951 nach Paris und bringt die informelle Kunst nach Österreich. Während ihres Aufenthalts in Paris (1960–1968) greift Lassnig Einflüsse der Pop-Art auf, in New York (1968–1980) experimentiert sie auch mit Film. Ab 1980 Professorin an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien: Sie unterrichtet Malerei und gründet ein Trickfilmstudio. Die Ferienzeiten verbringt sie bevorzugt in ihrem Kärntner Landatelier in Feistritz im Metnitztal. Lassnig vertritt Österreich 1980 auf der Biennale von Venedig, zeigt ihre Werke auf der documenta, in Amsterdam, Paris, London und New York. 2013 Goldener Löwe der Biennale von Venedig für das Lebenswerk.
Peter Handke: geb. 1942 in Griffen/Grebinj, Österreich, Schriftsteller
Barbara Maier: geb. 1961 in Gemmersdorf, Österreich, Kuratorin
Lojze Wieser: geb. 1954 in Klagenfurt/Celovec, Österreich, Verleger